Havelwasser (German Edition)
wieder draußen ist, und der kann Ihnen erzählen, wo man an welche Drogen kommt.“
Nun willigte er natürlich ein und folgte Köppen zum Eingang und weiter in den Hausflur, dessen Tapeten ebenfalls durch Graffiti ersetzt waren. In der zweiten Etage drückte der Kollege den Knopf einer Klingel ohne Namensschild. Aus dem Inneren war Kindergetrappel zu vernehmen, und dann öffnete sich auch schon die Tür. Ein blonder Kinderkopf guckte schnell durch einen Spalt hervor und schrie dann in die Wohnung, dass zwei Männer da seien. Hinter ihm erschien nach kurzer Zeit ein sehr muskulöser und überaus stark tätowierter Mann, der etwa im Alter von Köppen sein musste. Manzetti schloss daraus, dass es sich um den besagten Axel handelte.
„Was willst du?“, fragte der mit rauchiger Stimme und festem Blick auf Köppen, ohne sich auch nur ein Wort der Begrüßung abzuringen.
„Hallo, Axel.“
„Was willst du? Ich bin erst drei Tage wieder draußen, kann also keine Dinger gedreht haben.“
„Wir wollen nur mit dir reden. Ganz privat.“
Erst jetzt sah Axel auch zu Manzetti und musterte ihn von oben bis unten. Manzetti spürte jedes Gramm der Abneigung, mit der Axel ihm begegnete.
„Ihr Bullen kommt nie privat. Jedenfalls nicht zu einem von uns.“ Axel ging in die Wohnung und ließ die Tür offen. Das war vermutlich die Aufforderung zum Eintreten, also folgten sie ihm.
Der enge Flur war vollgestopft. Manzetti musste über einen leeren Eimer steigen, um am hüfthohen Schuhschrank vorbeizukommen. Mitten im Flur standen sie plötzlich wieder vor dem kleinen blonden Jungen.
„Wo ist dein Papa?“, fragte Köppen in kindgerechtem Ton, obwohl Manzetti nicht davon überzeugt war, dass der hier angemessen sei. Hier wurden Kinder sehr schnell erwachsen. Der Junge wies mit dem Kopf auf eine Tür, hinter der das Wohnzimmer zu liegen schien. Man sah ihm an, dass seine Haut nicht täglich mit Wasser in Berührung kam.
Eine halb geöffnete Tür zu ihrer Linken gab den Blick frei in die Küche und raubte Manzetti für die nächsten Stunden jeden Appetit. In dem Raum, aus dem der Geruch von alten Essensresten und anderen Dingen strömte, türmten sich Töpfe und angefangene Wurstpackungen, bei denen auch ohne Gammelfleischskandal mehrere Verfallsdaten verstrichen waren.
Manzetti unterdrückte ein erstes Würgen und folgte Köppen schnell weiter ins Wohnzimmer. Dort roch es nur unwesentlich besser, allerdings nicht nach Fäulnis, sondern nach kaltem Zigarettenrauch.
Axel saß auf einem Sofa, auf dem Schoß einen Säugling und hielt eine Flasche an dessen Lippen. „Das hier ist jetzt meine Welt“, sagte er. „Keine krummen Dinger mehr und keine Bullen. Also, was wollt ihr?“Sein Gesicht war ruhig, ohne jede Spur von Erregung. Er gab dem Säugling zwar die Flasche, aber Manzetti wurde das Gefühl nicht los, als erledige Axel nur einen Job: Er gab jemandem zu essen. Er musste sich erst einlassen auf dieses Baby. Auf sein Baby? Und wenn das erforderte, dass er die warme Flasche an die winzigen Lippen hielt, dann tat er das eben. Nur durfte nach seinem Knastaufenthalt keiner erwarten, dass er gleich umstieg und voll auf kuschelige Familie machte.
„Ist das Ihr Kind?“ Manzettis Frage klang hölzern.
„Was denkst du denn, Mann? Den habe ich im offenen Vollzug fertiggebracht. Oder glaubst du, dass ich fremde Bälger fütter? Ihr hättet solche Scheiße mal während der verdammten Reso fragen sollen.“ Axels Augen waren Anklage genug. Nicht wegen seiner Verurteilung, aber er fragte sich genau wie viele andere, was die Resozialisierungsprogramme ihm eigentlich brachten.
Manzetti vermied es, darauf einzugehen, denn er wusste zur Genüge, dass man Resozialisierung nur als riesiges Läuterungswerk verkaufte, um damit die eine oder andere besorgte Seele zu beruhigen. Beruhigte, wohlgemerkt, nicht befriedigte.
„Axel …“, mischte sich Köppen jetzt ein. „Wo kriegen wir Kokain?“
Der Angesprochene musste laut lachen, und sofort kam sein blonder Junge ins Zimmer gestürzt. Das Lachen erstickte und wurde von einer barschen Weisung ersetzt: „Raus!“ Als sie wieder unter sich waren, antwortete er Köppen mit einer Frage: „Ihr Bullen seid wohl komplett verblödet, oder?“
„Kann schon sein“, gab sich Manzetti jovial. „Aber die Frage interessiert uns tatsächlich, und wir behandeln Ihre Antwort streng vertraulich.“
„Eure Vertraulichkeit kenne ich. Die brachte mir vier Jahre ein. Nichts da. Von mir nicht. Ich
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