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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Augen. Seine Hände schienen gealtert, seit Manzetti ihn das letzte Mal gesehen hatte. Trotzdem war er noch der Hausherr und fragte den Besucher, ob er etwas trinken wolle. Als Manzetti verneinte, kam Hartung schnell zum Kern. „Sie kommen bestimmt wegen des Kreuzes.“
    Jetzt lag die Überraschung wieder bei Manzetti, denn der konnte mit dieser Bemerkung überhaupt nichts anfangen. „Ein Kreuz?“, fragte er deshalb und hob die Stimme bei der letzten Silbe so deutlich, wie es ein Erstklässler macht, dem gerade die Bedeutung des Fragezeichens erklärt wurde.
    „Ja, unser Kreuz“, erklärte Pater Johannes. „Sie erinnern sich vielleicht an das Kunstwerk, das Diakon Weinrich gestiftet hatte und das im Hof stand.“
    „Ja, natürlich. Was ist mit dem Kreuz?“ Manzetti war verblüfft.
    „Es wurde in der letzten Nacht gestohlen“, kam es wieder von Hartung und mit ebenso großer Verblüffung. „Hat man Sie etwa nicht deshalb geschickt, Herr Manzetti?“
    „Nein. Ich bearbeite noch immer den Mord an Diakon Weinrich. Wegen des Kreuzes werden andere Kollegen kommen. Bestimmt“, versicherte Manzetti, hoffte aber, dass die sich noch etwas Zeit ließen und ihm nicht dazwischenpfuschten.
    „Haben Sie den Tod des Diakons endlich aufgeklärt?“, fragte Pater Johannes.
    „Noch nicht“, antwortete Manzetti. „Aber ich glaube, dass wir kurz davorstehen.“ Damit lehnte er sich sehr weit aus dem Fenster, was ihm auch umgehend bewusst wurde.
    „Und wie können wir Ihnen helfen?“, fragte Hartung. Da er zwischen Manzetti und Pater Johannes stand, konnte sein geistlicher Kollege das für Manzetti bestimmte Zwinkern des rechten Auges nicht sehen.
    „Ich habe noch ein paar Fragen.“
    „Zu welchem Zweck?“, wollte der Pater wissen und strich seine Soutane glatt, als er sich gesetzt hatte.
    „Um den Schuldigen zu finden.“
    „Und was dann?“
    „Dann übergeben wir ihn der Justiz und verhindern so eine Wiederholung der Tat.“
    „Sie können solche Taten nicht verhindern, Herr Manzetti, und ich glaube, dass Sie intelligent genug sind, dies zu verstehen.“
    „Ja und nein, Pater. Gänzlich kann ich Verbrechen nicht verhindern. Da gebe ich Ihnen sicherlich Recht. Aber diesen Täter, den können wir stoppen. Weitere Opfer braucht es dann nicht zu geben.“ Manzetti sah zu Hartung, um zu überprüfen, ob der dem Gespräch folgte. Er konnte beruhigt sein: Die anfängliche Müdigkeit des Pfarrers war wie von Geisterhand weggewischt.
    „Dann fragen Sie, Herr Manzetti“, ermutigte Hartung und erntete sofort einen giftigen Blick von Pater Johannes.
    „Warum ist Diakon Weinrich aus Namibia weggeschickt worden?“
    Hartung blickte zu Pater Johannes und der zu Manzetti. Zwischen allen lag eine knisternde Spannung, von der Manzetti fast die Funken sprühen sah.
    Während einer ziemlich langen Pause ohne jede Reaktion überlegte Manzetti, wie er diese Situation für sich ausnutzen konnte. Er brauchte dringend Öl, das er ins Feuer gießen und so den siedenden Tiegel zum Überlaufen bringen konnte. Er musste aber auch das Versprechen an Pfarrer Hartung halten. Deshalb entschloss er sich zu pokern.
    „Wir haben bei einer anderen Leiche eine Art Bekennerschreiben gefunden und nun auch ein solches mit einem möglichen Bezug zum Diakon erhalten“, log er und vermied es, Hartung anzusehen, obwohl er schon gerne dessen Mimik studiert hätte.
    „Und?“, fragte Pater Johannes vollkommen gleichgültig.
    „Es gibt Hinweise zur Kinderschänderszene. Auch über Diakon Weinrich.“
    Wieder trat eine Pause ein, bis plötzlich Hartung einen Schritt auf den Pater zu machte. „Warum sagen wir ihm nicht endlich die Wahrheit? So wird alles nur noch viel schlimmer.“
    Der Pater reagierte darauf überhaupt nicht, sah aber Manzetti weiter gebannt an. Nach einigen Sekunden, die sich für Manzetti unendlich ausdehnten, löste sich die Körperspannung bei Pater Johannes, und er sackte etwas in sich zusammen, ohne dabei den Eindruck des Geschlagenen zu erwecken. „Sie entschuldigen mich einen Augenblick.“ Es war mehr eine Forderung als eine Bitte.
    Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, wandte sich Manzetti an Hartung. „Wo will er hin?“
    Der Pfarrer regte sich einen Moment nicht, deutete dann mit dem Finger zu einem der beiden Telefone auf dem Schreibtisch und sagte, als ein rotes Lämpchen aufleuchtete: „Er telefoniert mit dem Bischof.“ Mit dem Blick eines Hausierers, der verzweifelt Töpfe und Messer feilbietet, drehte er sich

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