Havenhurst - Haus meiner Ahnen
hatte.
Nur ein einziges Mal fühlte er sich einen Moment lang unwohl, und das war, als Elizabeth den Speisesaal mit einem Tablett voller Schüsseln betrat und er dachte, sie hätte das Mahl selbst zubereitet. Einen Augenblick später folgte jedoch ein Diener mit einem zweiten Tablett, und Ian atmete innerlich erleichtert auf.
„Das ist Winston, unser Tischdiener und Koch“, erläuterte sie ihm, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Winston hat mich alles gelehrt, was ich über das Kochen weiß“, fügte sie vollkommen ernst hinzu.
Ians Empfindungen schwankten zwischen Entsetzen und Erheiterung hin und her, und das entging dem Diener nicht. „Miss Elizabeth kann nicht kochen“, informierte er Ian mit recht scharfer Stimme. „Sie war nämlich stets viel zu beschäftigt, um auch das noch zu erlernen.“
Ian steckte diesen indirekten Rüffel ein, ohne etwas dazu zu sagen, denn er freute sich viel zu sehr darüber, daß Elizabeth so guter, entspannter Stimmung war und ihn sogar geneckt hatte. Als der verärgerte Diener gegangen war, blickte Ian zu Matthew hinüber und sah, daß dieser dem Mann düster hinterherstarrte. Ian schaute Elizabeth an, die jetzt offensichtlich verlegen war.
„Meine Leute meinen, aus Loyalität mir gegenüber so handeln zu müssen“, sagte sie. „Sie... nun, sie kennen Ihren Namen noch von früher. Ich werde mit ihnen reden.“
„Das wäre mir sehr recht“, erklärte Ian teils erheitert, teils gereizt, und an Matthew gewandt fügte er hinzu: „Elizabeths Butler versucht nämlich immer, mich hinauszuwerfen.“ „Kann er hören?“ erkundigte sich Matthew ohne Mitgefühl.
„Hören?“ wiederholte Ian. „Natürlich kann er hören.“ „Dann kannst du dich glücklich schätzen“, meinte Matthew, woraufhin die beiden jungen Frauen in Gelächter ausbrachen.
„Penrose, der Butler der Townsendes, ist nämlich stocktaub“, erläuterte Elizabeth.
Während des Abendessens wurde viel gelacht und viel erzählt, hauptsächlich über Alexandra und Elizabeth. Ian war immer wieder erstaunt, besonders über die Tatsache, daß die junge Herzogin offenbar genauso gut mit dem Fechtdegen umgehen konnte wie Elizabeth mit der Pistole.
So lebhaft erzählte Elizabeth, daß Ian sich dabei ertappte, daß er das schmackhafte Mahl gar nicht würdigte, sondern sich einfach zurücklehnte und sie erheitert und stolz zugleich beobachtete. Sie sprudelte wie der Champagner in den Kristallgläsern, strahlte wie das Licht der Kerzen, die die festliche Tafel schmückten, und wenn sie lachte, schien Musik durch den Raum zu klingen.
Mit dem Instinkt einer geborenen Gastgeberin zog sie alle Anwesenden in jedes Gespräch, gleich, worum es sich handelte. Was Ian jedoch am erfreulichsten fand, das war die Tatsache, daß sie in seiner Gegenwart so entspannt war. Ungekünstelt, elegant und liebenswürdig wandte sie sich an ihn, neckte ihn, lächelte über etwas, das er gesagt hatte, oder hörte ihm aufmerksam zu. Noch war sie nicht bereit, ihm ihr volles Vertrauen zu schenken, doch weit entfernt davon war sie nicht mehr, das spürte er deutlich.
Nach dem Dinner zogen sich die Damen der Sitte folgend in den Salon zurück und überließen die Gentlemen ihrem Portwein und ihren Zigarren.
„Als ich Ian zum ersten Mal sah, zündete er sich auch eine Zigarre an“, sagte Elizabeth, nachdem Alexandra und sie sich gesetzt hatten. Sie schaute auf und sah das sorgenvolle Gesicht ihrer Freundin. „Du magst ihn nicht, stimmt’s?“ „Ich mag das nicht, was er dir angetan hat.“
Elizabeth legte den Kopf in den Nacken und schloß die Augen. Sie wußte nicht, was sie sagen, was sie denken sollte. Vor langer, langer Zeit hatte Ian ihr gesagt, daß er dabei wäre, sich in sie zu verlieben. Jetzt indessen, da sie verlobt waren, sprach er nicht mehr davon.
Sie wußte nicht, was sie fühlte. Sie wußte ja nicht einmal genau, was sie selbst empfand. Sie wußte nur, daß sein Anblick allein sie jedesmal in Spannung und Erregung versetzte. Sie wußte, daß er sie gern küßte und daß sie es mochte, wenn er sie küßte. Er konnte sie fröhlich oder böse machen, und er schaffte es, daß sie sich ihm hingab. Letzteres war eine sehr beunruhigende Erkenntnis.
„Ich weiß weder, was ich von ihm halten soll, noch was ich denken oder empfinden soll“, gestand sie nach einer Weile. „Ich fürchte nur, das ist auch vollkommen unwichtig“, fuhr sie beinahe traurig fort, „denn ich werde ihn ganz bestimmt lieben
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