Havenhurst - Haus meiner Ahnen
Herrenhauses treten und zur Gartenlaube eilen sehen. Er sei ihr gefolgt, weil er sie wegen der Beetabdeckungen hatte ansprechen wollen, aber er habe sich dann zurückgezogen, als er gesehen hatte, daß sie dort einen Mann, „der nicht ihr Gemahl war“, umarmt hatte.
Es fehlte nicht der Hinweis darauf, daß die eheliche Untreue einer Frau den betrogenen Gatten durchaus veranlassen könnte, die Gemahlin nicht nur zu schelten, sondern sie verschwinden zu lassen — für immer.
Gegen Ende der zweiten Woche kehrte Mr. Wordsworth, der im Ausland gewesen war, nach England zurück und reagierte sofort heftigst auf die Entdeckung, daß seine Klientin auf mysteriöse Weise verschwunden war. Seine Zeugenaussage vor der Polizei war derart belastend, derart schockierend, daß sie absolut geheimgehalten wurde.
Am nächsten Tag konnte man dennoch in der „Times“ den bisher skandalträchtigsten Bericht lesen: Ian Thornton, Marquess of Kensington, war in seinem Londoner Stadthaus festgenommen worden und zum offiziellen Verhör gebracht worden, wo seine Rolle bei dem Verschwinden seiner Gattin aufgedeckt werden sollte.
Obwohl Ian nicht formell für das Verschwinden verantwortlich gemacht oder in Untersuchungshaft genommen wurde, verbot man ihm, London zu verlassen, bevor ein Tribunal hinter verschlossenen Türen zusammengekommen war und entschieden hatte, ob genug Gründe Vorlagen, ihm für das Verschwinden seiner Ehefrau und für das ihres Bruders vor zwei Jahren den Prozeß zu machen. Darauf nämlich waren Mr. Wordsworth’ Aussagen hinausgelaufen.
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„Das werden sie nicht tun“, meinte Matthew an dem Abend, als man Ian auf dessen Ehrenwort zunächst wieder auf freien Fuß gesetzt hatte.
„Sie werden es tun“, widersprach Ian leidenschaftslos. Er machte den Eindruck, als beträfe ihn das alles nicht im geringsten. Bereits vor vier Tagen hatte er den Punkt erreicht, an dem ihn die Ermittlungsergebnisse nicht mehr interessierten. Seine Gemahlin war fort, eine Lösegeldforderung war nicht gestellt worden, und für ihn gab es keinerlei Grund mehr, anzunehmen, daß Elizabeth etwa gegen ihren Willen entführt worden war. Da er selbst ja nun ganz genau wußte, daß er sie weder fort- noch umgebracht hatte, gab es für ihn nur noch eine einzige Schlußfolgerung: Sie hatte ihn wegen eines anderen Mannes verlassen.
Die Polizei rätselte noch immer über diesen anderen Mann, mit dem sie sich angeblich in der Gartenlaube getroffen haben sollte. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß die Sehkraft des Gärtners außergewöhnlich schlecht war, und der Mann hatte zugegeben, daß „es ja vielleicht auch Zweige gewesen waren, die sich um sie herum bewegt haben, und keine Männerarme“.
Ian indessen hatte da keine Zweifel. Die Existenz eines Liebhabers war für ihn die einzige Erklärung, die einen Sinn ergab, und etwas dergleichen hatte er ja auch schon in der Nacht vor Elizabeths Verschwinden vermutet, denn sie hatte schließlich nicht mit ihm schlafen wollen. Wenn sie keinen Liebhaber, sondern irgendwelche ernsthaften Sorgen gehabt hätte, dann würde sie doch Schutz und Trost in den Armen ihres Ehemannes gesucht haben, auch wenn sie ihm ihre Sorgen nicht im einzelnen hätte anvertrauen wollen. Aber er, Ian, war der letzte Mensch gewesen, zu dem sie sich in dieser Nacht hingezogen gefühlt hatte.
Nein, vermutet hatte er das nicht direkt; das hätte ihm einen unerträglichen Schmerz bereitet. Jetzt jedoch vermutete er das nicht nur, sondern er wußte es, und der Schmerz war größer als alles, was er sich je hätte vorstellen können.
„Ich sage dir, man wird dich nicht vor das Tribunal bringen“, wiederholte Matthew. „Glauben Sie das etwa?“ Er schaute erst Duncan, dann den Duke of Stanhope an, die zusammen mit Alexandra ebenfalls im Salon anwesend waren.
Beide Männer blickten Matthew besorgt an, schüttelten dann möglichst energisch den Kopf und betrachteten dann wieder düster ihre Hände.
Nach dem englischen Gesetz hatte Ian das Recht auf eine Gerichtsverhandlung vor einem Tribunal, das sich aus seinesgleichen zusammensetzte. Als Lord Ian Thornton, Marquess of Kensington, konnte der Prozeß also nur vor dem House of Lords, dem Oberhaus, stattfinden, und darauf setzte Matthew alle seine Hoffnungen.
„Du bist nicht der erste Lord, dessen Ehefrau plötzlich an ihrem Gemahl etwas auszusetzen hat und versucht, ihn durch ihr Verschwinden in ihrem Sinne wieder zur Raison zu bringen“, argumentierte Matthew. Er
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