Havenhurst - Haus meiner Ahnen
Jahre Zeit zum Lesen“, antwortete sie ganz ehrlich. Sie hob ihr Weinglas von der Gartenbank. „Ich muß jetzt wirklich ins Haus gehen und mich für das Tanzen umkleiden.“
Sie war schon an Thornton vorbeigetreten, als ihr die Wette ihrer Freundinnen wieder einfiel.
„Ich habe eine etwas ungewöhnliche Bitte.“ Sie lächelte ihn unsicher an. „Können Sie möglicherweise ... einen Gefallen ... aus einem Grund, den ich Ihnen nicht erklären kann ...“ Vor Verlegenheit kam sie nicht weiter.
„Um was für einen Gefallen handelt es sich denn?“ Elizabeth holte tief Luft. „Könnten Sie mich vielleicht nachher um einen Tanz bitten?“ Gespannt wartete sie auf seine Antwort.
Ian Thornton schien über soviel Kühnheit weder geschockt zu sein noch sich davon geschmeichelt zu fühlen. „Nein“, lautete seine klare Antwort.
Elizabeth erstarrte, aber nicht die Ablehnung ihrer Bitte erschütterte sie, sondern das unverkennbare Bedauern, das Ian Thorntons Stimme anzuhören und seinem Blick anzusehen war. Einen Moment lang schaute sie ihn fragend an, und dann zerriß ein mehrstimmiges Lachen ganz aus der Nähe den Bann.
Eilig raffte Elizabeth die Röcke zur Flucht aus dieser mißlichen Lage. „Guten Abend, Mr. Thornton“, sagte sie so kühl und gelassen wie möglich.
Er warf seinen Zigarillo fort und nickte. „Guten Abend, Miss Cameron.“
★
Elizabeth fand ihre bereits festlich gekleideten Freundinnen im Damensalon vor.
„Nun?“ fragte Penelope mit einem erwartungsvollen Lachen. „Spanne uns doch nicht auf die Folter. Hast du Eindruck auf ihn gemacht?“
Elizabeth hatte das ungute Gefühl, als sei sie der Gegenstand eines ihr unbekannten Scherzes. Die Mädchen lächelten; nur Valerie wirkte ein wenig kühl und reserviert. „Einen Eindruck habe ich auf ihn ganz gewiß gemacht“, antwortete Elizabeth. „Aber keinen guten.“
„Thornton ist doch so lange bei dir geblieben“, meinte Georgina. „Wir haben euch aus der Ferne beobachtet. Worüber habt ihr euch unterhalten?“
Bei der Erinnerung an Ian Thorntons schönes, gebräuntes Gesicht und an sein Lächeln fühlte sie, wie ihr die Verlegenheitsröte in die Wangen stieg. „Ich weiß wirklich nicht mehr, wovon wir gesprochen haben.“ Das stimmte tatsächlich. Sie erinnerte sich nur daran, daß ihre Knie weich geworden waren und ihr Herz gehämmert hatte.
„Nun, wie ist er denn?“
„Schön“, antwortete Elizabeth verträumt, doch dann nahm sie sich zusammen. „Charmant“, berichtigte sie sich. „Er besitzt eine schöne Stimme.“
„Und jetzt sucht er zweifellos nach deinem Bruder, um bei ihm um deine Hand anzuhalten“, meinte Valerie spöttisch.
„Mit dergleichen wird er meinen Bruder ganz sicherlich nicht belästigen. Im übrigen glaube ich, daß ihr eure Quartalsbezüge verloren habt, denn falls Ian Thornton mich tatsächlich um einen Tanz bitten sollte, werde ich vor Schreck in Ohnmacht fallen.“ Sie nickte ihren Freundinnen entschuldigend zu und verließ den Salon, um sich zum Umkleiden in ihr Gästezimmer zu begeben.
Dort angekommen, setzte sie sich aufs Bett und bemühte sich, die Gefühle zu begreifen, die in Ian Thorntons Gegenwart über sie gekommen waren. Sie hatte gleichzeitig Freude und Furcht empfunden, und gegen ihren eigenen Willen hatte sie sich unentrinnbar zu ihm hingezogen gefühlt. Noch jetzt wurde ihr heiß und kalt, wenn sie nur an die intime Situation im nachtdunklen Garten dachte.
Musik klang vom Ballsaal herauf. Elizabeth schüttelte ihre Träumerei ab und läutete nach Berta, die ihr beim Ankleiden helfen sollte.
Eine halbe Stunde später konnte die zur Zofe beförderte Dienerin beim Anblick ihrer Herrin ihr bewunderndes Lächeln nicht verstecken. Elizabeths Haar war zu einem eleganten Chignon auf dem Kopf aufgesteckt. Weiche, zu Löckchen gedrehte Strähnen umrahmten ihr Gesicht, und aus Brillanten und Saphiren gearbeitete Schmuckhänger funkelten an ihren Ohren.
Ihr saphirblaues Ballkleid war wesentlich ausgefallener und verführerischer als alle ihre anderen Gewänder. Blauseidene Stoffbahnen flossen von der großen, flachen Schleife auf der rechten Schulter gerade bis zum Boden hinab. Die linke Schulter blieb unbedeckt. Trotz der Tatsache, daß das Kleid selbst kaum mehr als eine geradegeschnittene Seidenhülle war, schmeichelte es der Figur ungemein. Es betonte die Brüste auf das vorteilhafteste und verriet eine schmale Taille.
„Es ist ein Wunder, daß Mrs. Porter ein solches Gewand für Sie
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