Havenhurst - Haus meiner Ahnen
erledige jetzt das Abräumen und den Aufwasch“, sagte sie zu dem Vikar.
„Ich helfe Ihnen dabei“, bot Duncan sofort an. „Das ist nur gerecht, denn schließlich haben Sie und Ian alles andere übernommen.“
„Kommt nicht in Frage“, wehrte sie ab, und schon band sie sich ein Handtuch um die Taille und spülte das Geschirr.
Die beiden Männer blieben am Tisch sitzen und unterhielten sich über Personen, die sie offenkundig schon seit vielen Jahren kannten. Obwohl Ian und Duncan Elizabeth vollständig vergessen zu haben schienen, bereitete es ihr Freude, dem Gespräch der beiden zuzuhören.
Als sie den Aufwasch erledigt hatte, nahm sie ihren angefangenen Brief an Alexandra wieder auf und setzte sich damit in einen Sessel beim Feuer. Von hier aus konnte sie Ian hin und wieder beobachten, ohne selbst in seinem direkten Blickfeld zu sein. Sie konzentrierte sich jedoch zunächst darauf, den Brief fortzusetzen. Leider ging ihr das nicht so gut von der Hand, denn mit den Gedanken war sie bei Ian und nicht bei dem Brief an Alexandra.
„Es ist ein schöner Abend, Elizabeth“, sagte Ian unvermittelt, ohne sie dabei anzusehen. „Wenn Sie das Briefeschreiben ein wenig aufschieben könnten, würden Sie dann einen kleinen Spaziergang machen wollen?“
„Es ist doch dunkel draußen“, bemerkte sie in ihrer Verwirrung recht geistlos und blickte ihm entgegen, als er aufstand und zu ihrem Sessel kam. Er blieb vor ihr stehen, und nichts in seinem Gesichtsausdruck verriet, daß ihm wirklich daran gelegen war, mit ihr spazierenzugehen.
„Ja, ein Spaziergang wäre jetzt genau das Richtige“, meinte Duncan zustimmend und stand ebenfalls auf. „Ist gut für die Verdauung, wissen Sie.“
Elizabeth kapitulierte. Sie lächelte dem grauhaarigen Vikar zu. „Ich hole mir nur rasch mein Umschlagtuch. Soll ich Ihnen auch etwas holen, Sir?“
„Nicht nötig.“ Er rümpfte die Nase. „Ich wandere nicht gern mitten in der Nacht durch die Landschaft.“ Ein wenig verspätet fiel ihm auf, daß er seine Pflicht als Aufpasser geradezu schamlos verletzte. „Außerdem kann ich nicht mehr so gut sehen wie früher“, fügte er hinzu. Und dann verdarb er die Wirkung dieser schönen Ausrede dadurch, indem er das Buch aufnahm, mit dem er sich zuvor beschäftigt hatte, sich damit in einen Sessel setzte und begann, es ohne ersichtliche Hilfe einer Brille im schwachen Schein des Feuers zu lesen.
Die Nachtluft war kühl. Elizabeth zog ihr wollenes Umschlagtuch fester um sich. Schweigend gingen Ian und sie nebeneinander her vom Haus fort.
„Wir haben Vollmond“, bemerkte sie nach einigen Minuten und schaute zu der riesigen gelben Scheibe am Himmel hinauf. Als er darauf nichts sagte, überlegte sie sich angestrengt, was sie sonst noch äußern könnte. Unbeabsichtigt drückte sie genau das aus, was sie im Moment dachte. „Ich kann eigentlich gar nicht recht glauben, daß ich mich in Schottland befinde.“
„Ich auch nicht.“
Schweigend wanderten sie auf einem Pfad weiter, den Ian anscheinend mit geschlossenen Augen hätte gehen können. Der Lichtschein vom Haus hinter ihnen wurde immer schwächer, und bald gelangten sie an eine Stelle, wo es nur noch den Sternenhimmel über ihnen und das dunkle Tal unter ihnen gab. Hier blieb Ian stehen. Er schob die Hände in die Hosentaschen.
Verstohlen schaute Elizabeth ihn an. Im Mondlicht wirkte sein Profil scharf und hart. „Ich glaube, wir sollten jetzt zurückkehren“, sagte sie, nachdem das Schweigen langsam unbehaglich wurde.
Ian beugte den Kopf in den Nacken und schloß die Augen wie jemand, der in seinem Inneren einen schweren Kampf ausfocht. „Warum?“ fragte er, ohne seine Haltung zu verändern.
„Weil wir hier nicht weiter spazieren können“, antwortete sie durchaus zutreffend.
„Wir sind nicht zum Spazierengehen hergekommen“, stellte er fest.
Sie fühlte sich nicht mehr so sicher wie eben noch. „Weshalb sind wir denn dann hergekommen?“
„Weil wir miteinander allein sein wollten.“
„Was bringt Sie zu der Annahme, daß ich mit Ihnen allein sein möchte?“ fragte sie unsicher.
Er wandte ihr den Kopf zu und blickte sie eindringlich an. „Kommen Sie her, und ich zeige es Ihnen.“
Bestürzung, Sehnsucht und Angst ließen ihren ganzen Körper vibrieren, doch ihr Verstand blieb intakt. Sich nach Ians Kuß zu sehnen, wenn es hell war und wenn sich der Vikan in der Nähe befand, das war das eine; aber die Dunkelheit, diese absolute Abgeschiedenheit hier und
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