Havoc
bisschen hier.«
»Du willst hierbleiben?«, fragte Kady entsetzt.
»Klar. Warum nicht? Ob hier oder woanders ist doch egal.« Er ging mit hängenden Schultern aus der Empfangshalle Richtung Flur.
»Was hat er denn?«, fragte Kady.
»Das werde ich gleich herausfinden«, sagte Seth und ging Justin hinterher.
3
Seth fand seinen Freund in einem der Büros, das genauso heruntergekommen aussah wie der Rest des Gebäudes. In den Regalen und Schränken moderten Akten und Dokumente vor sich hin. Justin begann in Schubladen zu wühlen und in alle Ecken zu spähen. Seth stellte sich neben ihn und sah ihm über die Schulter.
»Wonach suchen wir eigentlich?«, fragte er.
Justin antwortete nicht. Wahrscheinlich wusste er es selbst nicht.
»Du willst nicht nach Hause, stimmt’s?«, fragte Seth.
»Ich hab kein Zuhause«, sagte Justin. »Jedenfalls keins, in das ich zurückgehen will. Wenn es sein muss, schlaf ich auf der Straße.«
»Das lasse ich nicht zu.«
Justin lächelte traurig. »Das ist echt nett von dir, Kumpel, aber was willst du machen? Ich kann ja wohl kaum zu euch ziehen, oder? Immerhin gibt es in dieser Welt so was wie das Jugendamt. Die bringen mich ruckzuck zu meinem Vater zurück.« Er schnippte mit den Fingern. »Und du kannst Gift darauf nehmen, dass ich dann auf einen Schlag die ganzen Prügel bekomme, die sich im letzten Jahr angesammelt haben. Nein danke, darauf kann ich echt verzichten.«
Seth legte Justin beide Hände auf die Schultern. »Das meine ich nicht. Ich rede davon, dass wir nach Malice zurückgehen. Ich bringe Kady nur nach Hause und vergewissere mich, dass meinen Eltern nichts passiert ist.« Er griff in seine Hosentasche und zog zwei weiße Tickets hervor. »Und dann nehmen wir den Zug zurück.«
Justin sah ihn mit offenem Mund an. »Du hast weiße Tickets? Wie bist du denn an die gekommen?«
Seth grinste. »Die hab ich im Haus des Todes gefunden, als wir die Bombe versteckt haben.«
»Die kleine Metallkiste, die du hinter den Heizungsrohren gefunden hast!«, rief Justin. »Die hatte ich schon ganz vergessen.«
»Nach der Flucht vor dem Oger habe ich auch nicht mehr daran gedacht.« Er betrachtete die Tickets nachdenklich. »Eigentlich komisch, dass es so lange gedauert hat, bis ich welche gefunden hab, wenn man bedenkt, dass die Dinger überall in Malice versteckt sind.«
»Danke, Tall Jake! War der Dreckskerl doch noch zu was zu gebrauchen.« Justin strahlte, dann wurde er wieder ernst. »Aber bist du dir auch sicher? Ich meine, willst du wirklich für immer nach Malice zurück? Was ist mit deinen Elter n … und mit Kady?«
Seth seufzte. »Klar fällt es mir schwer, ohne sie zu gehen«, sagte er. »Und meine Elter n … Ich hab mir die Entscheidung wirklich nicht leicht gemacht. Schließlich kann ich ihnen schlecht erklären, wo ich hingehe und dass es mir dort gut geht. Es wäre was anderes, wenn ich sie von Zeit zu Zeit mal anrufen oder eine Postkarte schicken könnte.«
»Das ist echt hart für dich«, sagte Justin mitfühlend. »Da hab ich es einfacher. Es gibt nichts, was ich vermissen werde. Aber d u …«
»Kady wird hier glücklich werden«, sagte Seth. »Und meine Eltern sind auch glücklich mit ihrem Lebe n – zumindest so glücklich, wie sie es eben sein können. Aber für mich ist diese Welt nichts. Ich weiß jetzt, wo ich wirklich hingehöre.«
Justin nickte. »Ja. Ich weiß es auch.« Er sah seinen Freund an. »Ich bin verdammt froh, dass du mitkommst, Alter. Es wäre nicht dasselbe ohne dich.«
»Ja«, sagte Seth. »Für mich auch nicht.«
4
Es war dunkel und ein schneidend kalter Wind blies, als sie sich Hathern näherten. Sie waren von Crouch Hollow aus die Landstraße entlanggewandert, schließlich hatte jemand sich ihrer erbarmt und sie bis zur Autobahn mitgenommen. Dort hatten sie lange in der Kälte gestanden, bis sich ein Lkw-Fahrer bereit erklärt hatte, sie alle vier mitfahren zu lassen. Als sie sich nacheinander in die enge Fahrerkabine gequetscht hatten, hatte der Fahrer eine Bemerkung über ihre seltsame Kleidung gemacht, worauf sie ihm erzählt hatten, sie kämen gerade von einem Musikfestival. Er war begeistert gewesen, hatte ihnen den ganzen Weg bis zur Abzweigung nach Hathern Songs von Johnny Cash vorgesungen. Von dort aus waren sie zu Fuß weitergelaufen.
An der Kreuzung zum Nachbardorf verabschiedeten sie sich rasch von Alicia, die es kaum erwarten konnte, endlich wieder nach Hause zu kommen. Seth war der Einzige, der sie halbwegs
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