Havoc
»Uns bleibt keine andere Wahl, als morgen mitzugehen. Wenn wir uns weigern, erlaubt Jan uns niemals zu bleiben. Und wenn wir nicht bei Havoc bleiben, hat Seth keine Chance, uns zu finden.«
»Dir ist es anscheinend total egal, dass wir mit der Aktion eine Menge unschuldiger Leute in Gefahr bringen«, sagte Kady vorwurfsvoll und lehnte sich gegen die Wand. »Hauptsache, du kriegst mal wieder ein bisschen Action geboten und hast die Chance, Tall Jake eins auszuwischen.«
Justin verschränkte die Hände hinter dem Kopf und streckte sich auf dem Bett aus. »Geht es im Leben nicht genau darum?«, fragte er in philosophischem Tonfall. »Den Schweinen, die’s verdient haben, eins auszuwischen, meine ich?«
Kady seufzte. »Was macht dein Gesicht?«
»Ich seh nicht mehr ganz so gut aus wie heute Morgen, aber das heißt nicht viel.«
Kady verdrehte die Augen, aber um ihre Mundwinkel zuckte ein Lächeln. Manchmal trieb Justin sie mit seinen Sprüchen wirklich zur Weißglut, aber sie musste zugeben, dass seine unerschütterlich gute Laune auch tröstlich war. Selbst nachdem er brutal zusammengeschlagen worden war, schaffte er es noch, Witze zu machen. Es tat gut, jemanden wie ihn an ihrer Seite zu haben.
»Entspann dich, Kady«, sagte Justin ernst. »Warte doch erst mal ab. Im Welpenknast hab ich die Erfahrung gemacht, das s …«
»Welpenknast?«, unterbrach Kady ihn. »Was soll das denn sein?«
»Na ja, Jugendverwahrung. So ’ne Art Gefängnis für Kinder halt.«
Kady schüttelte den Kopf. »Warum wundert es mich nur nicht, dass du schon mal im Gefängnis warst? Und wie bist du da reingekommen?«
»Lange Geschichte. Jedenfalls gab es dort Jungs, die vorher in ihrem Viertel immer die Kings gewesen waren. Wenn die in den Knast kamen, haben sie versucht, sich mit Gewalt auf dem schnellsten Weg ganz nach oben zu kämpfen. Aber damit sind sie nicht weit gekommen, weil die Typen an der Spitze sie daran gehindert haben. Und die hatten genügend andere Kids um sich, die ihnen den Rücken gestärkt haben.«
»Ja und?«
»Deswegen haben die, die clever waren, es schön ruhig angehen lassen und sich langsam Respekt verschafft. Nach und nach haben sie eine Gruppe von Unterstützern um sich versammelt und geduldig auf ihre Chance gewartet. Früher oder später macht jeder Oberboss mal einen Fehler und diesen Moment haben sie abgepasst, um zuzuschlagen und ihn von seinem Thron zu stürzen.«
»Wer sagt, dass ich irgendjemanden von seinem Thron stürzen will?«, sagte Kady gereizt. »Warum denken alle, dass ich unbedingt wieder Anführerin werden will?«
Justin grinste. »Ach komm, ich hab doch vorhin dein Gesicht gesehen. Du hältst Jans Plan für bescheuert. Du musstest dir auf die Zunge beißen, um keinen Streit mit ihm anzufangen.« Er setzte sich auf und sah grinsend zu Kady herunter. »Du erträgst es eben nicht, wenn jemand anders das Kommando hat.«
»Jetzt mal ehrlich, Justi n – die Kids, denen wir vorhin im Gang begegnet sin d … Sahen die für dich etwa aus wie eine durchtrainierte Armee?«, fragte Kady. »Oder wie erfahrene Guerillakämpfer? Das sind nichts weiter als ein paar Jugendliche, die verzweifelt versuchen zu überleben.«
»Aber vielleicht geht es hier um mehr, als nur ums Überleben«, seufzte Justin. Er schwang die Beine über die Bettkante, stützte die Ellbogen auf die Knie und beugte sich vor. »Weißt du, warum die bei Havoc bleiben? Weil sie gar keine andere Wahl haben. Denen bleibt doch gar nichts anderes übrig, als gegen Tall Jake zu kämpfen, auch wenn sie wissen, dass sie nicht mehr gegen ihn ausrichten können als eine Mücke gegen einen Elefanten. Aber wenn sie es nicht trotzdem immer wieder versuchen würden, müssten sie sich eingestehen, dass sie Angst haben und hilflos sind.« Er betastete seinen lädierten Kiefer und verzog das Gesicht. »Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Mir geht’s doch nicht anders. Deswegen habe ich nach Havoc gesucht, seit ich hier in Malice bin. Ich mache lieber bei Jans Plan mit, als mich ängstlich in den Tunneln unter dem Uhrenturm zu verkriechen, wo Seth mich gefunden hat. Egal wie bescheuert oder riskant es ist.«
Kady dachte nach. Vielleicht hatte Justin Recht. Wenn sie ehrlich war, hätte sie tatsächlich gern wieder das Kommando über Havoc gehabt, und sei es nur, um die Gruppe zu beschützen. Aber vorher musste sie bei Jans tollkühnem Plan, den Terminus stillzulegen, mitmachen. Sie konnte nur hoffen, dass dabei niemand verletzt wurde. Zum
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