Havoc
auf ihn lauerten, bewusst sein müssen. Aber er hatte natürlich wieder mal den edlen Sir Knight spielen müssen.
Er hetzte geduckt zwischen zwei Waggons hindurch und kletterte über die Kupplungen. Als er auf der anderen Seite wieder herauskam, stellte er erschrocken fest, dass er in der Falle saß. Vor ihm stand eine weitere Reihe Bahnwaggons.
Links türmte sich ein meterhoher Kies- und Schuttberg auf, der den Weg blockierte. Rechts konnte er seine Flucht zwar zwischen den Waggonreihen fortsetzen, würde dann aber genau auf den Tunneleingang zulaufen, in dem die Züge verschwanden.
Er blieb einen Moment lang unschlüssig stehen und starrte in das Dunkel des Tunneleingangs. Seine Taschenlampe war weg. Er hatte sie neben sich auf den Boden gelegt, als er dem vermeintlichen Mädchen hatte helfen wollen. Der Anblick der gähnenden Schwärze jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Um nichts in der Welt wollte er da hinein, aber er wusste, dass er keine andere Wahl hatte. Sein Instinkt sagte ihm, dass er dor t – im tiefsten, dunkelsten und versteckten Teil des U-Bahn-Depot s – einen Weg nach Malice finden würde. Genau wie in der Fabrik in Birmingham. An den einsamen, vergessenen Orten im Niemandsland befanden sich die Schnittpunkte zwischen den beiden Welten.
Plötzlich fiel ihm auf, dass um ihn herum gespenstische Stille herrschte. Er blickte sich panisch um. Wo steckte der Zombie? War er vielleicht unter einen der Waggons gekrochen und streckte gerade seine knochige Hand aus, um nach seinem Fußgelenk zu greifen? War er um die Wagen herumgegangen und wartete jetzt vor dem Schuttberg, um ihn abzufangen? Oder kauerte er auf einem Dach, bereit, sich jeden Moment auf ihn zu stürzen?
Seth nahm all seinen Mut zusammen und rannte in den finsteren Tunnel hinein. Nur mit Mühe widerstand er dem Drang, sofort wieder umzukehren, den Hang hinaufzuklettern und sich in den Schutz der hell erleuchteten Straße zu retten. Aber wenn er das tat, würde er morgen Nacht wiederkommen müssen.
Reiß dich zusammen, ermahnte er sich stumm. Denk an Kady! Sie braucht dich! Der Gedanke an seine Freundin verlieh ihm den Mut, weiter in das Dunkel vorzudringen. Nach ein paar Metern endete der Zug. Noch wurden die von Unkraut überwucherten und mit Steinen und Geröll übersäten Gleise schwach vom von draußen hereinfallendem Licht beleuchtet. Als Seth einen Blick nach hinten warf, sah er nichts als das verlassene Bahndepot und hörte nur einen leichten Wind und das Brummen eines Lkws, der über ihn hinwegrumpelte.
Vielleicht hat sie aufgegeben , dachte er und schöpfte wieder ein bisschen Hoffnung. Vielleicht lässt sie mich in Ruhe.
Er befühlte prüfend seine Schulter. Die Wunde tat höllisch weh, aber darum würde er sich später kümmern müssen. Jetzt durfte er keine Zeit verlieren.
Also verdrängte er den Schmerz und setzte den Weg ins Innere des Tunnels mit klopfendem Herzen fort. Das von draußen eindringende Licht wurde immer schwächer, und bald war er von völliger Dunkelheit umfangen. Er verlangsamte sein Tempo und tastete sich vorsichtig an der rauen Tunnelwand entlang, um nicht Gefahr zu laufen hinzufallen. Der Boden war mit Steinen übersät, die zu tückischen Stolperfallen werden konnten.
Sein Herzschlag pochte laut in seinen Ohren. Er fühlte sich wieder in die Oubliette zurückversetzt und spürte, wie ihn aufs Neue die Panik vor der alles verschluckenden Dunkelheit ergriff.
Immer wieder blickte er zum Eingang des Tunnels zurück, wo er noch einen vom Mondlicht beschienenen, halbrunden Ausschnitt des verlassen daliegenden Bahndepots sehen konnte.
Plötzlich blieb er wie erstarrt stehen.
Vor dem Tunneleingang tauchte die Silhouette einer knochigen, gebückten Gestalt auf. Nackt, mit strähnig herunterhängenden Haaren und langen, scharfen Klauen blickte sie suchend nach rechts und links und reckte dann ihren langen Hals in den Tunnel.
»Ich weiß genau, dass du da drin bist! Ich habe immer noch dein Blut auf der Zunge!« , hallte ihre gurgelnde Stimme durch das Dunkel. » Ich kann dic h … schmecken!«
Dann kam das grauenhafte Etwas, in das sich das Mädchen verwandelt hatte, in den Tunnel gehumpelt.
Seth stolperte panisch vorwärts und versuchte trotz der Dunkelheit zu rennen, so schnell er konnte. Mit den Fingerkuppen tastete er sich weiter an der felsigen Tunnelwand entlang und einmal trat er gegen einen Stein, der klackernd davonrollte. Ein hohes Kichern drang an seine Ohren. Es klang
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