Havoc
emporragen.
Irgendjemand hat diesen Ort erschaffen , dachte sie und fragte sich immer wieder: Wie ist das möglich? Wie kann eine Comicwelt so real sein?
Als sie eines Nachmittags wieder einmal an ihrem Lieblingsplatz stand und in die Ferne blickte, hörte sie Schritte hinter sich. Es war Seth. Tatyana trottete ihm entgegen und begrüßte ihn freudig.
»Wie machst du das nur, Seth?«, fragte Kady, ohne den Blick von der Landschaft abzuwenden. »Wie schaffst du es, immer für alles und jeden die Verantwortung zu übernehmen? Woher nimmst du die Kraft?«
»Keine Ahnung.« Seth stellte sich neben sie und zuckte hilflos mit den Achseln. »Wahrscheinlich bin ich einfach so.«
»Ich kann Havoc nicht anführen«, sagte Kady. »Was ist, wenn ich versag e … oder wenn ich im Laufe der Zeit auch so werde wie Jan?«
»Ich hab gesehen, wie Jans Schläger Justin zugerichtet haben«, sagte Seth. »Du würdest so etwas nie zulassen.«
»Aber wie kann ich mir da so sicher sein?«, fragte sie verzweifelt. »Was, wenn ich irgendwann nicht mehr zwischen richtig und falsch unterscheiden kann? Manchmal hat man einfach ein Brett vor dem Kopf. Ich bin mir sicher, dass Jan geglaubt hat, das Richtige zu tun. Er hat überhaupt nicht gemerkt, dass er sich völlig verrannt hatte.«
Seth antwortete eine Weile nichts, sondern starrte nachdenklich in die Ferne. »Du gibst dein Bestes, Kady«, sagte er schließlich. »Das reicht manchmal vielleicht nicht, aber mehr kann man nicht tun.«
Kady sah ihn hilflos an. »Und wenn doch?«
Statt einer Antwort legte Seth ihr einen Arm um die Schulter. »Du hast alles versucht, um ihn aufzuhalten.«
Sie schmiegte sich an ihn. »Ich bin so froh, dass du wieder da bist, Seth.«
»Ich auch.«
2
»Sieht ja nicht besonders beeindruckend aus«, meinte Dylan skeptisch.
Der Shard lag auf dem Untersuchungstisch im Labor der Tauchstation. Seth, Kady, Justin, Scotty und Dylan hatten sich dort am späten Abend versammelt, während die Bewohner des Sees blitzend und flackernd am Beobachtungsfenster vorbeischwebten.
»Und wie kriegen wir den Shard jetzt aus dem Ei?«, fragte Scotty.
»Frag mich was Leichteres«, antwortete Kady. »Du hast ihn doch schon mal aufgeweckt, Seth. Was hast du denn damals genau gemacht?«
»Eigentlich nichts. Ich hab ihn bloß in die Hand genommen«, sagte Seth ratlos. »Keine Ahnung, was ihn geweckt hat.«
»Als Seth in Skarlas Höhle diese Kristallkugel berührt hat, hat sie doch auch sofort auf ihn reagiert«, warf Justin ein. »Ich wette, beim Shard war es so ähnlich.«
»Stimmt«, sagte Seth. »Ich hab irgendwie das Gefühl, dass es etwas mit dieser seltsamen Kraft zu tun hat, die mir die Laq verliehen hat.«
»Kraft?«, fragten Dylan und Scotty wie aus einem Mund und sahen Seth fragend an.
»Ich hab mir in der Oubliette Pfeil und Bogen von ihr geliehen, um die Blutbestie zu töten, und danach ist irgendwas mit mir passiert. Sie hat gesagt, dass sie einen ›Helden‹ brauche und dass sie mich auserwählt habe.«
»Was auch immer sie damit gemeint hat«, murmelte Kady nachdenklich.
»Tja, keine Ahnung«, sagte Seth. »Aber seitdem passieren immer wieder seltsame Dinge mit mir. Aus irgendeinem Grund kann ich körperlich fühlen, wo die Schnittstellen liegen, an denen sich Malice und unsere Welt überschneiden. Ich merke es auch, wenn Tall Jake schon mal an einem Ort gewesen ist, und spüre es ganz deutlich, wenn wir von Grendel beobachtet werden.«
»Nimm den Shard doch noch mal in die Hand«, schlug Scotty vor. »Vielleicht kannst du ihn ja wieder aufwecken.«
»Lieber nicht«, sagte Seth. »Das letzte Mal, als ich das gemacht hab, hat Tall Jake anscheinend sofort gewusst, wo ich mich aufhalte. Ich glaube, er kann es spüren, wenn der Shard wach ist.«
»Tj a …« Justin zuckte mit den Achseln. »Wenn wir sonst keine Verwendung dafür finden, benutzen wir ihn einfach, um Tall Jake damit den Schädel einzuschlagen.«
»Und wie gehen wir jetzt weiter vor?«, fragte Scotty.
»Skarla hat gesagt, dass diejenigen von den Sechs, die noch leben, uns vielleicht unterstützen würden, wenn wir den Shard haben«, sagte Kady.
»Und wo finden wir die?«, fragte Dylan.
Es herrschte ratloses Schweigen.
»Okay, lasst uns das Ganze mal analytisch angehen«, ergriff Kady schließlich wieder das Wort und begann im Raum auf und ab zu gehen. »Was genau wissen wir über die Sechs? Wir wissen, dass Tall Jake ihnen angehörte, aber der scheidet natürlich aus. Den Shard haben wir.
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