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Havoc

Havoc

Titel: Havoc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Ohren.
    Obwohl wegen des trüben Regenwetters nur dämmeriges Licht in den Wagen fiel, musste sie blinzeln, als die ungewohnte Helligkeit ihre Augen traf. Sie lauschte auf die Stimmen, um sich zu vergewissern, dass Scratch nicht in der Nähe stand. Aber er und derjenige, mit dem er sich unterhielt, waren so weit vom Wagen entfernt, dass sie nicht verstand, worüber sie redeten. Mutig geworden hob sie den Kopf und spähte aus dem Seitenfenster.
    Der Wagen parkte vor einem riesigen gusseisernen Tor, das in eine hohe rote Backsteinmauer eingelassen war. Es wirkte wie die Einfahrt zu einem herrschaftlichen Anwesen, nur dass das Tor völlig verrostet und von Kletterpflanzen überwuchert war. Links davon stand ein verfallenes Pförtnerhäuschen. Riesige, alte Bäume verdeckten den Blick auf die Einfahrt und hinter der Mauer schloss sich ein dichter Wald an.
    Scratch stand mit einem anderen Mann im strömenden Regen vor dem Pförtnerhaus. Alicia nahm an, dass es sich um eine Art Wachmann handelte. Er trug einen grünen Regenmantel mit Kapuze und kehrte ihr den Rücken zu. Dafür sah Alicia Icarus Scratch jetzt zum ersten Mal von vorn und ihr lief ein kalter Schauder über den Rücken. Sein teigiges aufgedunsenes Gesicht war völlig unbehaart. Er hatte weder Augenbrauen noch Wimpern, sodass er aussah wie eine unfertige Schaufensterpuppe.
    Als der Pförtner kurz darauf den Kopf drehte, konnte sie auch sein Gesicht sehen. Er hatte einen schmalen Kopf mit Pferdegebiss und eine krumme Hakennase, sah abe r – abgesehen davon, dass er ziemlich hässlich wa r – völlig normal aus. Dann trieb eine heftige Windböe den Regen gegen das Wagenfenster und durch die an der Scheibe herablaufenden Schlieren blickte Alicia für den Bruchteil einer Sekunde in ein verrunzeltes Fratzengesicht mit Reißzähnen und horizontal geschlitzten Augen wie die einer Ziege.
    Entsetzt sog sie die Luft ein. Was war das?
    Einen Moment später deutete Scratch auf die Mauer und die dahinterliegenden Bäume und sagte etwas, woraufhin die beiden auf das Auto zuschlenderten. Alicia duckte sich hastig und zog die Decke über sich. Die Tür wurde aufgerissen und Scratch setzte sich wieder hinters Steuer.
    »Ich möchte, dass Sie in der nächsten Zeit ganz besonders gut aufpassen, hören Sie? Irgendjemand ist in unser Haus in Kensington eingedrungen, und wir wissen nicht, welche Informationen er dort gefunden hat. Es könnte sein, dass er weiß, wo Crouch Hollow liegt, und bereits auf dem Weg hierher ist.«
    »Machen Sie sich da mal keine Sorgen«, versicherte ihm der Pförtner mit näselnder Stimme. »Die Viecher im Wald werden jedem, der über die Mauer klettert, alle Glieder einzeln herausreißen und anschließend genüsslich verspeisen. Der einzig sichere Weg nach Crouch Hollow führt durch dieses Tor und das lasse ich nicht aus den Augen.«
    »Das will ich auch hoffen«, knurrte Scratch und zog die Wagentür zu. Alicia hörte ein metallisches Quietschen, als das Eisentor geöffnet wurde, dann startete Scratch den Wagen und fuhr langsam hindurch.
    Alicia kauerte regungslos unter der Decke und hatte die Augen fest zugekniffen, aber das Gesicht des Pförtners hatte sich tief in ihre Netzhaut eingebrannt. Nicht zum ersten un d – wie sie ahnt e – bestimmt auch nicht zum letzten Mal wünschte sie sich, sie hätte sich niemals darauf eingelassen, Seth zu helfen.
    Nach ein paar Minuten Fahrt hielt Scratch wieder an, öffnete die Tür und stieg aus. Angestrengt lauschte Alicia den sich entfernenden Schritten auf dem Kiesweg nach, bis sie verklungen waren und nur noch der Regen zu hören war, der weiter erbarmungslos auf das Autodach trommelte.
    Trotzdem blieb Alicia noch eine Weile bewegungslos in ihrem Versteck sitzen. Sie konnte kaum glauben, dass sie es tatsächlich geschafft hatte, sich die ganze Fahrt über im Wagen zu verstecken, ohne entdeckt zu werden, und musste sich schwer zusammenreißen, um vor lauter Angst und Erschöpfung nicht loszuheulen. Aber was jetzt? Sie konnte sich schließlich nicht ewig hier verstecken. Außerdem war ihre Mission noch lange nicht beendet. So schnell durfte sie nicht aufgeben, dafür war sie jetzt schon viel zu weit gekommen. Sie würde noch einmal all ihren Mut zusammennehmen müssen.
    Sobald sie sich sicher war, dass Scratch wirklich weg war, warf sie die Decke von sich und spähte aus dem Fenster. Der Wagen parkte vor einem riesigen Backsteingebäude, das aussah, als wäre es früher einmal ein Krankenhaus oder ein

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