Hawaii
meine Schwester Esther, daß Ihr Brief ehrlich sei«, überlegte Abner.
»Und da sie das dachte«, sagte Jerusha trocken, »tat sie ihr Bestes, mich zu überzeugen, daß ich Sie heiraten sollte. Wenn Esther jetzt hier wäre...« Entrückt wie zwei unentdeckte, durch Meere der Ungewißheit voneinander getrennte Kontinente, saßen sich diese beiden seltsamen Liebenden gegenüber. Und doch erkannte Jerusha, als dieser einzigartige Tag zu Ende ging, von ferne, daß Abner Hale wirklich an Gott glaubte und daß er in seinem Herzen ehrlich fürchtete, jemand zum Weib zu nehmen, der nicht Gott geweiht war. Andererseits erfuhr Abner, daß es gleichgültig war, ob Jerusha Bromley im Stand der Gnade war oder nicht. Nur die Tatsache zählte, daß sie lieber ewig eine alte Jungfer bleiben wollte, wenn ihr nicht die Ehe die wahre Leidenschaft brachte, deren das Leben fähig ist.
Mit diesen gemeinsamen Entdeckungen endete das erste Zusammensein. Aber an der Haustür fragte Abner leise: »Darf ich so kühn sein und Ihre Hand nehmen, ehe ich gehe - als ein Zeichen meiner tiefen Verehrung für Sie?«
Und als er das erstemal Jerusha Bromley berührte, was für ihn die kühnste Tat seines jungen Lebens bedeutete, durchfuhr ihn von ihren Fingerspitzen her ein solcher Schauer, daß er einen Augenblick lang wie gebannt stehenblieb und dann verwirrt über den schlafenden Marktplatz zu seinem Gasthof zurücklief.
Noch ehe es am nächsten Morgen acht schlug, wußte man in allen Küchen Walpoles - wenigstens in denen, die zur Kirchengemeinde gehörten - über den Stand der Brautwerbung im Hause Bromley Bescheid; denn die kleine Mercy hatte spioniert und zog jetzt von Haus zu Haus mit ihrem atemlosen Bericht: »Er hat sie nicht gerade geküßt, was bei einem ersten Besuch auch nicht ganz schicklich gewesen wäre, aber er hat ihre Hand gehalten, wie in einem englischen Roman.«
Um halb neun sprachen Mercy und Charity im Gasthof vor und eröffneten ihrem vielleicht zukünftigen Schwager, daß er sogleich zu einem Familienpicknick entführt würde. Er fragte impulsiv: »Wird auch - Fräulein Bromley dabei sein?« Worauf Mercy antwortete: »Jerusha? Natürlich. Wie soll sie sich denn sonst verloben?« Abner lehnte in Erinnerung an sein gestriges Ungemach jedes Frühstück und Getränk ab, so daß er, als auf einem Hügel der Picknickkorb geöffnet wurde, schier verhungert war. Er aß gewaltige Mengen und ging dann mit Jerusha an einem Bach entlang. Dort fragte er sie: »Wie können Sie es nur über sich bringen, einen so lieblichen Ort zu verlassen?« Und sie antwortete geheimnisvoll: »Nicht alle, die Christus folgen, sind Bauern.«
Er blieb an einem überhängenden Baum stehen und sagte: »Ich konnte nicht schlafen in der letzten Nacht, Fräulein Bromley, weil ich immer daran denken mußte, wie schlecht ich gestern in unserer Unterhaltung abgeschnitten habe. Aber dann schien es mir auch wieder, daß ich gar nicht so schlecht abgeschnitten habe, da ich doch Gelegenheit hatte, Sie kennen und Ihre Eigenschaften schätzen zu lernen. Jeder Dummkopf kann sehen, daß Sie schön sind, und so war es sinnlos, darüber ein Wort zu verlieren, aber andererseits hätten wir gestern abend sehr viel mehr sprechen können, ohne über einander das zu erfahren, was wir wirklich erfahren haben. «
»Wir haben vor allem herausgefunden«, antwortete Jerusha und lehnte sich an einen Ast, »daß wir beide sehr eigensinnige Leute sind, daß wir aber beide Gott ehren.«
Aus mehr als zwei Meter Entfernung fragte er sie: »Sind Sie bereit, nach Owhyhee zu gehen - unter diesen Bedingungen?«
»Ja, Pastor Hale.«
Er schluckte, kratzte an der Baumrinde und fragte: »Heißt das, daß wir verlobt sind?«
»Nein«, sagte sie fest, setzte sich auf den Ast und schaukelte aufreizend hin und her.
»Warum möchten Sie mich nicht heiraten?« fragte er verwirrt. »Weil Sie mich nicht darum gefragt haben«, sagte sie ungerührt. »Aber ich habe doch gesagt... «
»Sie haben gesagt: >Sind Sie bereit, nach Owhyhee zu gehen?<, und ich habe gesagt: >Ja.< Aber das hieß natürlich nicht, daß ich bereit wäre, den ganzen Weg um Kap Hoorn nach Owhyhee mit einem Mann zu unternehmen, der mir nicht angetraut ist.«
»Oh, ich habe nicht beabsichtigt...« Abner wurde rot vor Verlegenheit und versuchte sich zu entschuldigen, aber umsonst. Schließlich unterbrach er sich und blickte auf das schlanke Mädchen in dem seidigen Sommerkleid, das da auf einem Ast hin und her schaukelte, als
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