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Hawaii

Hawaii

Titel: Hawaii Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
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über sein Bierglas. »Hast du je mit einem wirklich klugen Arbeiterführer aus New York gesprochen?«
    »Deshalb habe ich daran gedacht, nach Harvard zu gehen, um Jura zu studieren.«
    »Ein großartiger Gedanke!« rief Goro. »Aber paß auf, Junge. Ich möchte nicht, daß du dort bloß Jura lernst.«
    »Ich habe nicht diese Absicht«, erwiderte Shig vorsichtig. »Dr. Abernethy hat mich gefragt, ob ich vielleicht bei ihm wohnen wolle. Seine Frau ist Rechtsanwältin.« Goro wurde aufgeregt. »Und du könntest dich abends mit ihr unterhalten und ein bißchen Schliff bekommen und über Weltgeschichte disputieren. Shig! Nimm es an. Sieh, ich würde dir sogar mit Geld aushelfen.«
    »Gehst du denn nicht auch auf ein College?« fragte Shig. Goro wurde rot, spielte mit seinem Bierglas und blickte auf die Uhr. »Ich glaube, ich habe andere Pläne«, gestand er. »Ich möchte, daß du sie kennenlernst.«
    Das Dai-Ichi-Hotel in Tokyo stand in der Nähe der Hochbahn, die rings um die Stadt führte. Nicht weit von dem Hotel befand sich der Schimbaschi-Bahnhof. 1946 wurde dieses Viertel jeden Abend von armseligen, unterernährten japanischen Mädchen überschwemmt. Die meisten von ihnen waren die anziehendsten Prostituierten, die Asien je hervorgebracht hatte. Aber die Tragödie ihres Hungerdaseins war, daß sie, wenn sie erst einmal ihre Gesundheit zurückgewonnen hatten und ihre Wangen sich wieder füllten, so an ihren Straßenberuf gewöhnt waren, daß sie sich nur noch schwer zu einer anderen Beschäftigung bekehrten. So verharrten sie bei diesem Gewerbe, lernten einige Worte Englisch und stahlen sich mit ihren G. I.-Liebhabern heimlich in Armeequartiere.
    Als Shig und Goro an diesem Abend durch die bittere Kälte einer Januarnacht in Tokyo schritten, rief ihnen die Horde junger Mädchen auf japanisch zu: »Hübscher Nisei G.I. Möchtest du nicht heute nacht mit einem wirklich feurigen Mädchen schlafen?« Shig wurde übel, und er versuchte, nicht auf die verführerischen, verhungerten Gesichter zu blicken, aber sie umdrängten ihn und bettelten: »Bitte, Nisei. Ich mache dich sehr glücklich für eine Nacht. Ich bin ein gutes Mädchen.« Sie glichen den hübscheren Mädchen, die er in Hawaii gekannt hatte, und als sie hungrig an seinem Arm hingen, dachte er: Vielleicht gibt es bei einem verlorenen Krieg auch Dinge, die
    Dr. Abernethy nicht zu würdigen weiß. Vielleicht ist es doch nicht so gut. Schließlich rissen sich die Brüder von den Schimbaschi-Mädchen los und wandten sich nach links dem Ginza zu. Sie vermieden jedoch die breite Straße, die von MPs kontrolliert wurde, und schritten statt dessen dem westlichen Ginza zu, wo sie in einem Labyrinth von Gäßchen untertauchten. In einer von ihnen lag eine kleine Bar, die nicht größer als ein Schlafzimmer war und Le Jazz Bleu hieß. Sie fanden den engen Raum erfüllt von Rauch, Bardunst und den Klängen eines teuren Grammophons, das Louis Armstrong spielte. Auf winzigen Barhockern saßen drei Kunden, und hinter der Theke trat ein außerordentlich hübsches Mädchen in europäischen Kleidern hervor. Sie konnte nicht älter als zwanzig sein, war groß, mager und hatte ein unvergeßlich waches Gesicht. Sie streckte Goro ihre schlanke Hand entgegen und rief auf japanisch: »Seid willkommen in unserem Zentrum von Kultur und Aufruhr!« Und mit diesen Worten führte sie Shig in einen der hinreißendsten Aspekte des japanischen Nachkriegslebens ein: die geistige Revolution.
    Wenn Akemi weniger Glück gehabt hätte, wäre sie ein Hershey-Bar-Mädchen geworden, das bei den G.I.s um Nylonstrümpfe und Fleischkonserven bettelte. Aber in den ersten Tagen der Okkupation war sie glücklich gewesen, Goro Sakagawa zu begegnen, und der war kein Hershey-Bar-Junge. Er gab ihr zwar alles, was er an Nahrungsmitteln und Geld aufbringen konnte, aber sie bot ihm dafür keine Gegenleistungen, abgesehen von aufregenden Unterhaltungen einer Kenntnis von Japan und einer geistigen Liebe, die er nicht für möglich gehalten hatte. Shig brauchte nur zwei Minuten, um zu erkennen, daß sich dieses Paar heiraten würde. »Warum arbeitet sie in einer Bar?« fragte er Goro, als Akemi verschwand, um einen Kunden zu bedienen.
    »Sie möchte arbeiten, und sie mag die Musik«, erklärte Goro. »Ist sie eine Edokko?« fragte Shig und verwandte den alten
    Namen von Tokyo.
    »Sie ist die reinste Moderniste«, sagte Goro lachend. Die japanische Nachkriegsjugend gebrauchte gerne französische Wörter, und ein

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