Hawks, John Twelve - Dark River
nickte. »Einer anderen Theorie zufolge wurde sie aus Jerusalem entfernt, als König Manasse Götzen in Salomos Tempel brachte. Einige Gelehrte glauben, dass die Bundeslade zunächst in die jüdische Siedlung auf Elephantine gebracht wurde, einer Insel im Oberlauf des Nils. Hunderte von Jahren später griffen Ägypter die Siedlung an, und die Lade wurde auf eine Insel im Tanasee gebracht.«
»Und heute steht sie in Aksum?«
»Ja, sie wird in einem besonderen Heiligtum aufbewahrt. Nur einem der priesterlichen Wächter ist es gestattet, sich der Bundeslade zu nähern, und er tut es nur ein Mal im Jahr.«
»Warum sollte man mir dann den Zutritt erlauben?«
»Wie ich Ihnen bereits am Flughafen erklärt habe, gibt es in diesem Land eine sehr alte Tradition von Kämpfern, die Traveler beschützen. Die Priester wissen das. Trotzdem stellen Sie ein besonderes Problem dar.«
»Weil ich Ausländerin bin?«
Petros wirkte peinlich berührt. »Weil Sie eine Frau sind. Es hat hier seit drei- oder vierhundert Jahren keine weiblichen Tekelakai mehr gegeben.«
Auf ihrem Weg durchs Gebirge Richtung Nordäthiopien fing es an zu regnen. Die Straße führte durch eine kahle Landschaft ohne Vegetation, wenn man von einigen terrassenförmigen Äckern und den wenigen Eukalyptusbäumen absah, die als Windschutz gepflanzt worden waren. Alle Häuser, Schulen und Polizeiwachen waren aus gelben Sandsteinbrocken gebaut. Die Wellblechdächer waren mit Steinen beschwert, und Steinmauern überzogen die Hänge – der vergebliche Versuch, die Erosion aufzuhalten.
Maya hielt das Schwert auf ihren Knien und starrte aus dem Fenster. Das einzig Interessante in dieser Gegend waren die Menschen. In einem Dorf trugen alle Männer blaue Gummistiefel. In einem anderen stand ein dreijähriges Mädchen neben einem Entwässerungsgraben und hielt ein Ei zwischen Daumen und Zeigefinger. Es war Freitag, und die Bauern machten sich auf den Weg zum Wochenmarkt. Schirme tanzten auf und ab wie die Soldaten einer bunten Pilzarmee, die einen Berg erklimmt.
Es war schon Abend, als sie die Altstadt von Aksum erreichten. Der Regen hatte aufgehört, und ein leichter Dunstschleier hing in der Luft. Petros wirkte angespannt und besorgt. Immer wieder warf er Maya und Lumbroso Blicke zu. »Machen Sie sich bereit. Die Priester sind über unseren Besuch informiert.«
»Was wird jetzt passieren?«, fragte Lumbroso.
»Zunächst übernehme ich das Reden. Maya sollte den Talisman tragen, um sich als Tekelakai zu erkennen zu geben, aber sie sollte ihn nicht aus dem Köcher ziehen, weil sie sie dann vielleicht töten. Vergessen Sie nicht, dass diese Priester sterben würden, um die Lade zu verteidigen. Ins Heiligtum kommt man nicht mit Gewalt.«
Auf dem Kirchengelände in der Stadtmitte bildete geschmacklose moderne Architektur einen Kontrast zu den grauen Außenmauern der Kirche der Heiligen Maria von Zion. Petros lenkte den Land Rover auf einen zentral gelegenen Innenhof, und alle stiegen aus. Nebel hüllte sie ein, und sie warteten darauf, dass etwas geschehen würde, während über ihren Köpfen die Regenwolken dahinzogen.
»Da …«, flüsterte Petros. »Dort befindet sich die Lade.« Maya blickte nach links und sah einen würfelförmigen Betonbau, dessen Dach ein äthiopisches Kreuz zierte. Die schmalen Fenster waren mit eisernen Fensterläden und Gitterstangen gesichert, vor der Tür hing eine rote Plastikplane.
Plötzlich traten äthiopische Priester aus den umliegenden Gebäuden. Über den weißen Roben trugen sie Umhänge in unterschiedlichen Farben, dazu die verschiedensten Kopfbedeckungen. Die meisten von ihnen waren alt und sehr dünn. Aber es befanden sich auch drei jüngere Männer darunter, die Sturmgewehre trugen und sich in einem Dreieck um den Land Rover stellten.
Nachdem etwa ein Dutzend Priester erschienen waren, öffnete sich eine Seitentür der Kirche der Heiligen Maria von Zion, und ein alter Mann mit makellos weißer Robe und Scheitelkäppchen trat heraus. Er stützte sich auf einen Dula mit geschnitztem Griff und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Seine Sandalen schlurften leise über den Pfad aus Steinplatten.
»Das ist der Tebaki«, erklärte Petros. »Der Wächter der Lade. Er ist der einzige Mensch, der das Heiligtum betreten darf.«
Wenige Meter vor dem Land Rover blieb der Wächter stehen und hob die Hand. Petros näherte sich dem alten Mann, verbeugte sich drei Mal und brach dann in einen leidenschaftlichen Wortschwall auf
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