Hawks, John Twelve - Dark River
U-Bahnhof runtersteigen, und sich in den Computer der Verkehrsgesellschaft gehackt.«
»Es gibt noch eine andere Erklärung.« Maya warf einen Blick in Naz’ Richtung.
»Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Aber ich habe sein Gesicht in der U-Bahn beobachtet. Er sah wirklich erschrocken aus.«
»Hollis, bleib in seiner Nähe. Halte ihn auf, falls er versucht wegzulaufen.«
Ein weiterer Shuttlezug fuhr ein, nahm eine neue Horde von Passagieren auf und ratterte nach Westen in Richtung Eighth Avenue davon. Es war, als würden sie ewig hier stehen bleiben müssen. Schließlich bekam der Bahnpolizist einen Anruf auf seinem Funkgerät und eilte davon. Naz rannte zur Knickerbocker-Tür und probierte die Schlüssel an seinem Bund aus. Als das Schloss mit einem Klicken aufsprang, lächelte er und zog an der Klinke.
»U-Bahn-Sonderführung! Bitte hier entlang!«, rief er, und ein paar Fahrgäste sahen zu, wie die kleine Gruppe durch die Tür verschwand. Naz zog die Tür wieder zu, und eng aneinandergedrängt standen sie in einem kurzen, düsteren Durchgang. Naz führte sie an einem Schachtdeckel vorbei und stieg die vier Betonstufen zum Bahngleis hinunter.
Alle standen auf dem Gleis, während Naz sie auf die dritte Schiene hinwies, die unter Strom stand. »Vorsicht mit der Holzabdeckung«, sagte er. »Wenn sie bricht und euer Körper die Schiene berührt, seid ihr Grillfleisch.«
In dem schwarz verrußten Tunnel roch es wie in einem Abwasserkanal. Wasser tröpfelte durch eine Drainagerinne; es sickerte durch den Beton und ließ die Wände glänzen wie Öl. Der U-Bahnhof City Hall war staubig, aber relativ sauber gewesen; der Tunnel zum Times Square hingegen war völlig vermüllt. Überall huschten Ratten herum – dunkelgraue, gut dreißig Zentimeter lange Exemplare. Das hier war ihr Reich, und vor Menschen hatten sie keine Angst. Wenn ein Eindringling auftauchte, wühlten die Ratten unbeirrt weiter im Müll herum, fauchten sich an oder flitzten über die Wände.
»Die sind harmlos«, sagte Naz. »Passt nur auf, wo ihr hintretet. Wenn man hinfällt, krabbeln sie auf einem rum.«
Hollis blieb dicht an ihrem Führer. »Wo ist der Ausgang, von dem du gesprochen hast?«
»Der muss hier irgendwo sein. Ich schwöre bei Gott! Haltet nach einem gelben Licht Ausschau.«
Sie hörten ein leises Rumpeln wie entferntes Donnergrollen, dann entdeckten sie die Scheinwerfer einer herankommenden U-Bahn. »Aufs andere Gleis! Aufs andere Gleis!«, schrie Naz. Ohne auf die anderen zu warten, machte er einen Satz über die dritte Schiene und landete auf dem Nachbargleis.
Alle außer Sophia Briggs folgten Naz. Die alte Frau wirkte erschöpft und ein bisschen verwirrt. Als die Lichter des Zuges immer näher kamen, ging sie das Risiko ein und trat direkt auf die Holzverkleidung über der dritten Schiene. Das Brett trug ihr Gewicht. Einen Augenblick später hatte sie es geschafft und stand neben den anderen.
Naz sprintete ein Stück voraus und kam aufgeregt zurück. »Okay, ich glaube, ich habe die Tür zum Treppenhaus gefunden. Folgt mir einfach, und …«
Der Shuttlezug ratterte auf dem anderen Gleis vorbei und verschluckte den Rest des Satzes. Maya erhaschte kurze Eindrücke von den Fahrgästen, Porträts eingerahmt in die Fenster – ein alter Mann mit einer Strickmütze, eine junge Frau mit Zöpfen –, dann war der Zug verschwunden. Ein Bonbonpapier wirbelte durch die Luft und sank wieder zu Boden wie ein abgestorbenes Blatt.
Sie kamen an eine Stelle, von der aus es in drei verschiedene Richtungen weiterging. Naz wählte das rechte Gleis und führte sie zu einem offenen Durchgang, der von einer einzelnen Glühbirne beleuchtet wurde. Er stieg drei Metalltreppen hinauf und betrat einen Wartungstunnel. Alice und Vicki folgten ihm. Als Hollis oben auf der Treppe angekommen war, schüttelte er den Kopf. »Wir müssen langsamer gehen. Sophia kann nicht mehr.«
»Sucht ein sicheres Versteck und wartet dort auf uns«, sagte Maya. »Gabriel und ich kommen mit Sophia nach.«
Maya wusste, ihr Vater hätte den Rest der Gruppe hintergangen, um den Traveler zu retten; aber diese Strategie konnte sie hier nicht anwenden. Gabriel würde niemanden im Tunnel zurücklassen – am wenigsten die Frau, die ihm den Weg gewiesen hatte. Sie warf einen Blick zurück in den Tunnel und sah, dass Gabriel Sophias Rucksack auf seinen Schultern trug. Als er ihr seinen Arm anbot, schüttelte die alte Dame energisch den Kopf, so als wolle sie sagen: Ich
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