Hazienda der Traeume - Julia Saisonband Bd 66
seinen Beruf, der ihn ausfüllte. Vielleicht konnte er sich wieder ganz auf seine Arbeit konzentrieren, wenn Julie und der Junge in einigen Monaten nicht mehr da waren. Hoffentlich war es dann leichter, das Unerträgliche zu meistern.
4. KAPITEL
An diesem Abend saß Julie noch lange in ihrem Zimmer am Kamin. Das Gespräch mit Rafael Vega hatte sie sehr aufgewühlt. Wie sehr musste er seine Frau vermissen! Bis zum heutigen Tag verfolgte es ihn, dass er sie nicht hatte retten können. Die Trauer um sie musste sehr groß sein. Anscheinend konnte er nicht einmal die Erinnerung an sie ertragen, denn im ganzen Haus war kein einziges Bild von ihr zu finden.
Er war ein schwieriger, wortkarger Mann, aber sie glaubte, ihn jetzt besser zu verstehen und nahm sich vor, einfühlsam und verständnisvoll zu sein, insbesondere zu seinem Sohn.
Sie würde sogar versuchen, die Haushälterin zu tolerieren, auch wenn Alicia Fernández sie nicht leiden konnte, was durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte.
Es wurde immer später. Das Kaminfeuer war heruntergebrannt, und Julie ging ins Bett. Sie schlief unruhig und fühlte sich wie zerschlagen, als sie am Morgen aufwachte. Nachdem sie geduscht und sich angekleidet hatte, griff sie nach ihrer Handtasche und öffnete die Tür.
Auf der Türschwelle lag, mit dem Gesicht nach unten, eine kleine, eilig zusammengenähte Puppe. Sie hatte kurzes blondes Haar und trug ein hellgrünes Kleid. Wie vom Donner gerührt sah Julie die Puppe an. Diese Figur sollte sie darstellen. Sie bückte sich, um das Stoffbündel aufzuheben, und erschrak noch mehr.
„O nein!“, rief sie entsetzt.
Die Puppe war völlig durchnässt. Mit bebenden Händen drehte Julie sie um. Der scharlachrote Mund war aufgerissen, blicklose Augen starrten sie an. Die Figur erinnerte an eine Ertrunkene. Von den Wellen verschlungen wie Rafaels Frau.
Julie musterte die Puppe voller Abscheu. Wer mochte ihr diesen widerwärtigen Streich gespielt haben? Auf dem Flur war niemand zu sehen. Aber irgendjemand wollte ihr Angst einjagen. Alicia? Oder Rafael?
„So ein Unsinn!“ Sie erschrak vor ihrer eigenen Stimme. Energisch riss Julie sich zusammen. Von so einem billigen Scherz ließ sie sich nicht beeindrucken. Sie kehrte in ihr Zimmer zurück, warf die Puppe in hohem Bogen in den Papierkorb und machte sich auf den Weg zum Frühstück.
Neben ihrem Teller lag ein Umschlag. Er enthielt mehrere hundert Pesos und eine Notiz mit der Nachricht: „Kaufen Sie, was Sie brauchen. R.“
Sie freute sich über diese unerwartete Geste. Als Kico wissen wollte, was in dem Umschlag war, sagte sie: „Dein Dad hat uns Geld zum Einkaufen geschenkt.“
Der Vorfall mit der Puppe hatte sie heftiger erschüttert als angenommen. Jedenfalls brachte sie keinen Bissen von Juanitas köstlichem Frühstück hinunter und trank nur eine Tasse Kaffee.
Vor Kico durfte sie sich nichts anmerken lassen. „Wir machen uns einen richtig schönen Tag. Wir gehen los, sobald du mit dem Frühstück fertig bist.“
Der Kleine hatte sich schick gemacht für den Ausflug und trug Kakishorts, ein weißes Hemd, weiße Socken und feste Schuhe. Das Haar hatte er mit Wasser zurückgekämmt.
Er aß den Teller leer, trank seine Milch aus und verkündete, er sei so weit.
Wenige Minuten später machten sie sich auf den Weg.
In den zehn Tagen, die Julie inzwischen auf der Insel weilte, hatte sie die Hazienda nur für Spaziergänge mit Kico verlassen. Nun war sie sehr neugierig, mehr von Janitzio und Patzcuaro zu sehen.
Sie hatten die letzte Steintreppe erreicht und konnten bereits die abfahrbereiten Barkassen sehen. „Komm schnell, Kico, wir müssen uns beeilen!“
Doch der Kleine folgte ihr nur zögernd. Er sagte zwar nichts, aber sie sah ihm an, dass er am liebsten einen Rückzieher gemacht hätte.
Julie ließ sich nichts anmerken, sondern redete beim Gehen einfach weiter auf ihn ein. „Sieh mal, der See ist spiegelblank. Das wird ein herrlicher Ausflug. Heute vergessen wir den Englischunterricht einfach und machen uns einen schönen Tag. Komm, wir setzen uns hier auf diese Seite, dann kannst du mir euer Haus zeigen, wenn das Schiff ablegt.“
Sie umfasste seine Hand. Sie war eiskalt. Wäre es doch vernünftiger umzukehren? Nein, jetzt hatten sie es bis aufs Boot geschafft, nun würde Kico auch den Rest überstehen. Früher oder später musste er seine Panik vor dem Wasser überwinden. Warum also nicht heute?
Er saß dicht an sie gedrängt und hielt den Blick gesenkt. Als der
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