Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
an diesem Tag bestand aus meiner gegenwärtigen Erscheinung, die meinem früheren Ich absolut nicht mehr glich. Fahle Haut, die über einem rasierten Schädel spannte. Der üppige Schnurrbart nur noch eine ferne Erinnerung. Eine schwere Brille mit dicken Gläsern. Unregelmäßiges Essen und andauernde Erschöpfung hatten meinen Körper aus der einstigen Speckschicht geschält, und an den harten Kanten wirkte meine Kleidung eher aufgehängt als getragen. Ich war nicht mehr ständig auf den Stock angewiesen, aber jetzt hatte ich ihn mitgenommen in dem Bewusstsein, dass die schiere Größe des Kasinos lange Märsche über häufig harten Untergrund erfordern würde.
Zweck des Ausflugs war reine Aufklärung. Ich hatte nichts geplant noch hegte ich Erwartungen. Ich wusste nicht einmal, ob der Besuch notwendig war, aber der Ort reizte mich, einen Blick zu riskieren. Selbstverständlich war ich so vorsichtig, mich umzusehen, ohne dass auffiel, dass ich mich umsah. An einem Ort wie diesem wurde alles registriert, entweder von elektronischen oder menschlichen Augen. Das waren sozusagen die Spielregeln, und jeder kannte sie.
Ich spielte an den Automaten und an einem der Black-Jack-Tische, kaufte mir eine Baseballmütze und dann etwas zu essen in der Pianobar, wo ich dem Klavierspieler trotz der Unverschämtheit eines Barry-Manilow-Medleys ein Trinkgeld gab. Der Barkeeper arbeitete für die Besitzer des Unternehmens, die das Lokal gepachtet hatten, aber früher war er Croupier an den Roulettetischen gewesen.
»Klingt romantisch«, sagte er über seinen ehemaligen Job. »Nach Abendkleidern und Smokings und französischem Geplauder. In Wirklichkeit sind das Leute wie Sie und ich, und man wird es leid, die kleine gottverdammte Kugel im Auge zu behalten.«
»Ist aber trotzdem gute Arbeit, oder?«, fragte ich. »Ich spiele mit dem Gedanken, mich zu bewerben.«
Er gab mir recht.
»Ja, stimmt. Die sorgen für ihre Leute. Was wollen Sie denn machen?«
»Sicherheitsdienst«, sagte ich. »Ich war früher bei der Militärpolizei. Computerfachmann. Bin nie aus dem kleinen dunklen Raum rausgekommen, aber einer musste es ja machen.«
»Und das da, eine Verwundung?«, fragte er mit Blick auf meine Beine.
»So in der Art«, erwiderte ich, leicht beschämt, weil ich so tat, als wäre ich im Einsatz gewesen. »Wen müsste ich denn ansprechen, um mich zu bewerben? Wissen Sie das?«
Er holte ein zerfleddertes Buch unter dem Tresen hervor und blätterte herum, bis er die richtige Seite fand. Dann kritzelte er einen Namen auf eine Cocktailserviette. »Ron Irving, Direktionsassistenz, Personalleiter/Sicherheitsdienst.«
»Netter Typ«, meinte der Barkeeper. »Eigentlich müssten Sie ihn von mir grüßen, aber der hat keine Ahnung, wer ich bin. Ich bin nicht so berühmt, wie ich sein sollte.«
»Die Klage hört man oft«, sagte ich.
Auf meinem Gang durch die breiten Flure und offenen Säle mit ihren glitzernden, lärmenden Automaten musterte ich die Gesichter aller Männer in Uniform, denen ich begegnete. Da jeder zum Sicherheitsdienst gehören konnte, musterte ich auch die Männer in billiger Freizeitkleidung wie der von Fred Tootsie, in schlichten Anzügen, Arbeitskleidung und Polohemden. Als mir bewusst wurde, dass ich jeden und alles anstarrte, hörte ich aus Angst, Aufmerksamkeit zu erregen, sofort damit auf.
Ich spazierte in einen großen Bereich mit Black-Jack-Tischen und nahm an einem Platz, der von einer jungen, attraktiven Asiatin geführt wurde. Zwei Männer saßen bereits, aber sie integrierte mich mühelos.
»Wie viele Punkte zählt ein König?«, fragte ich. Die beiden anderen Typen starrten mich an, als hätte ich eine Ladung Dung auf den Tisch gekippt.
»Zehn«, antwortete die Kartengeberin deutlich und akzentfrei. »Genau wie die Damen und Buben.«
Dann gewann ich mein erstes Spiel. Meine Beliebtheit bei meinen Tischgefährten sank rapide. In meiner Jugend hatte ich Black Jack toll gefunden, da mir Karten zu merken für mich absolut natürlich war, bis mein Vater mich darauf hinwies, dass dieses Talent zu gebrochenen Beinen führen konnte, wenn ich es am falschen Ort praktizierte. Eigentlich hätte das nicht länger ein Problem sein dürfen, da ich mittlerweile kaum meine Finger und Zehen zählen konnte, und dennoch schien ich die Abfolge der Karten spüren zu können. Ich verbrachte die nächste Stunde damit, bis ich rund 400 Dollar reicher war.
Die beiden anderen Burschen verschwanden
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