Heaven - Stadt der Feen
ihrer Hand gegen die Wand geworfen hätte. Doch gleich darauf besann sie sich wieder und sackte in sich zusammen. »Ich glaube, es ist doch das Beste, wenn ich aufs Boot zurückgehe«, flüsterte sie verzweifelt. »Hier kann ich doch auch nicht bleiben.«
»Warum denn nicht?«
Sie sagte nur zwei Worte: »Miss Trodwood.«
David verdrehte die Augen. »Das werde ich regeln. Du bist hier sicher.«
Sie schwieg eine ganze Weile und versuchte sich sichtlich zu fassen. »Wenn ich bleiben soll«, sagte sie schließlich, »dann brauche ich aber neue Klamotten.« Sie lächelte kläglich.
»Die kann ich für dich holen. Du kannst mir erklären, wie ich dein Boot finde. Und was ich dir mitbringen soll.«
Sie knabberte an ihrer Lippe. »Das würdest du tun?«
»Ja.«
»Aber warum?«
»Was meinst du, warum?«
»Na ja, wir kennen uns kaum.«
»Ist das wichtig?«
»Normalerweise schon. Menschen helfen einander nicht einfach so.«
»In Filmen schon.«
»Na ja, das ist aber kein Film.«
»Auch in Büchern.«
»Ein Buch ist das hier auch nicht.«
»Das hier ist London«, sagte David. »Alles ist möglich.«
Sie seufzte. »Und wenn jemand dort ist?«
»Ich bin vorsichtig.«
»Vielleicht sollte ich doch mitkommen«, schlug sie vor. »Ich könnte mich ja irgendwo verstecken und auf dich warten, während du meine Klamotten suchst. Es gibt da ein Café, ganz in der Nähe.«
Entschieden schüttelte David den Kopf. »Nein. Da ist es zu heiß und du fällst nur wieder in Ohnmacht.«
Sie seufzte. »Gott, irgendwie pathetisch, oder?«
Er lachte und sie sah ihn schief an. »Kannst du noch etwas für mich tun?« Ihre schlanken Finger umspielten den Griff der Tasse. »Kannst du Mr Mickey eine Nachricht von mir überbringen? Er wird sich sonst Sorgen machen und . . .« Sie stockte, suchte nach Worten, sagte schließlich: »Und das will ich nicht.«
»Warum rufst du ihn nicht an?«
»Er würde Fragen stellen. Ich hab einfach keine Lust, mit ihm zu reden.«
David nickte. Er konnte verstehen, was sie meinte. Wahrscheinlich würde es ihm ähnlich gehen.
»Wirf ihm einfach die Nachricht in den Briefkasten und verschwinde wieder.«
»Soll ich zuerst dorthin gehen?«
»Ja.« Sie zwinkerte ihm zu, jetzt ein wenig belustigt. »Sonst müsstest du die Klamotten durch die halbe Stadt tragen.«
David grinste. »Gutes Argument.«
Heaven sah ihn still an.
Von draußen wehten die Geräusche der Stadt in die Küche. Und David wusste mit einem Mal, dass er sie nicht allein lassen würde, egal, was passierte. Ihre Pfade hatten sich in der Nacht gekreuzt, und wenn seltsame Zufälle wie dieser etwas zu bedeuten hatten, dann musste man die Gelegenheiten, die sich einem so boten, einfach festhalten.
Erstes Zwischenspiel
Mr Quilp
D er Mann mit den schwarzen Handschuhen, der sich jetzt Mr Quilp nannte, stand auf dem Gehweg in der Fulham Road und beobachtete die Schülerinnen und Schüler, die auf den Eingang des großen Gebäudes mit den hohen Fenstern zuströmten. Ruhig las er den Schriftzug, der auf einer Messingtafel in noblen Lettern prangte: Chelsea Independent College. Die Schüler sahen mürrisch aus, müde.
Mr Quilps Augen waren scharf. Doch das Gesicht, nach dem er suchte, hatte er noch nicht erblickt. Nicht, dass er geglaubt hätte, sie würde hier auftauchen. Nein, so naiv war er nicht. Doch man durfte keine Möglichkeit außerAcht lassen, so abwegig sie auch sein mochte.
Unter seinem Arm trug er eine Zeitung, die Times. Diesmal war da kein Artikel über einen Leichnam ohne Herz zu finden, nicht so wie sonst. Nein, diesmal war alles anders. Komplizierter? Ja, vielleicht. Aber Schwierigkeiten musste man als Herausforderung sehen.
Er griff nach einem Mobiltelefon, rief die Auskunft an, ließ sich eine Nummer geben. Er ließ sich nicht mit der Nummer verbinden, sondern merkte sich die Ziffern. Kleine Übungen, die zur Schärfung der Sinne beitrugen, waren ihm stets willkommen. Dann wählte er die Nummer und wartete.
Er wusste, dass in dem Gebäude, das er seit einer Stundeschon beobachtete, ein Telefon klingelte. Er wusste, dass eine Sekretärin abheben würde. Und er wusste, dass er in wenigen Minuten um einige Informationen reicher sein würde.
Mr Quilp lächelte. Die Passanten, die sein Lächeln streifte, sei es auch nur flüchtig, spürten einen Schauder, der so unauffällig war wie das unbestimmte Gefühl, das einen manchmal beschleicht, jenes Gefühl, das einen glauben lässt, dass irgendwo etwas Schlimmes passiert
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