Heaven - Stadt der Feen
»Der Anruf beim College – war das das Einzige, was du mir erzählen wolltest?«, fragte er zögernd.
»Nach dem Anruf habe ich die ganze Zeit über in der Küche gesessen und nachgedacht«, sagte sie. »Miss Trodwood hat mich in Ruhe gelassen. Sie ist wirklich eine sehr nette dezente Lady.« Sie seufzte tief. »Ich meine, irgendetwas müssen wir doch tun können, oder?«
»Sehe ich auch so.«
Sie schaute zum Tresen hinüber. »Ich habe mich dafür entschieden, dir etwas zu erzählen«, begann sie. »Das muss ich, denn sonst hältst du mich für völlig verrückt, wenn ich dir gleich vorschlage, was ich dir vorschlagen möchte.«
»Jetzt bin ich gespannt.« David schlürfte an dem dampfenden Tee.
»Okay. Du hast das Haus in Richmond kennengelernt.«
»Deswegen hast du mich doch dorthin geschickt.« Er hatte es geahnt, aber nun war es Gewissheit.
Sie nickte. »Jetzt weißt du, wo ich aufgewachsen bin. Und vielleicht ahnst du auch, weshalb ich dort fortwollte.«
»Dein Vater?«
Sie nickte schnell. »Er starb vor vier Jahren. Er ist nach Schottland geflogen, weil er in Edinburgh einen neuen Partner finden wollte.« Sie winkte ab. »Businesskram. Nicht so wichtig.« Sie blickte an einen Ort, der weit, weit entfernt war. »Auf dem Rückflug stürzte sein Flugzeug ab.« Sie schluckte. »Das ist alles. Ein Absturz mitten im Lake District, nahe des Scafell Pike. Ein Unfall. Klingt irgendwie unspektakulär, oder?« Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Ich habe es erfahren, als ich in der Schule war. Sie riefen mich aus dem Unterricht, der Direktor höchstselbst und ein Psychologe teilten es mir mit. In einem Raum, in dem eine Grünpflanze stand und ein Tisch aus hellem Holz mit einer richtig hässlichen Tisch-decke darauf. An der Wand stand ein Kaffeeautomat.« Ihre Finger spielten mit dem Löffel neben ihrer Tasse herum. »Und die Stühle waren aus Plastik. Ich war wie gelähmt. Ein Taxi hat mich nach Richmond gebracht.« Sie schaute auf. »Mr Mickey und Mr Sims haben sich um alles gekümmert.« Sie hielt inne, nippte am Tee. Schwieg. Dann sagte sie, so leise, als sei es ein Geheimnis: »Sie haben ihn oben in Highgate beerdigt, im Grab meiner Mutter.«
David wusste nicht, was er sagen sollte. Er wich ihrem Blick nicht aus, das war alles, was er tun konnte.
»Ich war auf einmal eine Waise. Seltsam, was? Das Wort klingt so, als gäbe es so etwas gar nicht mehr. Klingt eher wie aus einem Roman von Dickens. Aber es ist wirklich passiert.« Sie musste lächeln, aber es geriet zu einer Grimasse. »Ein armes Waisenkind.« Ihr Lächeln erstarb. »Na ja, arm nicht unbedingt. Reich trifft es eher.«
»Mr Mickey fürchtet, ich könne hinter deinem Geld her sein.«
»Typisch Mr Mickey. Er ist immer so misstrauisch.«
»Ja, das ist er.«
Sie drehte den Kopf zur Seite, atmete tief die kalte Luft ein, die durch das Fenster in den Pub strömte.
»Dein Vater und Mr Mickey – waren sie eigentlich befreundet?«
Sie sah ihn für einen Moment verwirrt an. »Was meinst du damit? Mr Mickey ist schon immer unser Butler gewesen. Mein Vater hat ihn mir sozusagen hinterlassen.«
David rief sich in Erinnerung, wie vertraut Mr Mickey von Jonathan Mirrlees gesprochen hatte. Aber er fragte nicht weiter. »Wie bist du an das Hausboot gekommen?«, sagte er stattdessen.
»Ich hab Eve auf einer Party kennengelernt, wie man Leute zufällig trifft. Mir gefiel, was sie machte, und sie lud mich auf das Hausboot ein. Mein Boot gehört auch ihnen, ich hab es von ihnen gemietet.«
»Und dann?«
»Es war ein richtiger neuer Anfang. Das war vor fast zwei Jahren. Niemand wusste, wo ich abgeblieben war.« Sie musste lachen. »Ich kam ab und zu nach Richmond zurück, sprach mit Mr Mickey über dies und das und dann verschwand ich wieder.«
»Und das College?«
»Die haben meine Anschrift in Richmond. Und Post verschicken sie nur per E-Mail.« Als errate sie Davids Frage, fügte sie hinzu: »Ich besitze keinen Rechner auf dem Boot. Wozu gibt es Internetcafés?«
»Zwei getrennte Leben, das klingt sehr geheimnisvoll.«
Heaven zuckte die Achseln. »Ich wollte nicht das armeMädchen aus dem großen Haus sein. Die mit dem Geld und ohne Eltern.«
»Kann ich verstehen.«
»Ich wollte ich sein, niemand sonst.«
»Sieht aus, als hättest du es geschafft.«
»Ich habe mir Mühe gegeben.« Sie drehte die Tasse vor sich hin und her.
Sie lächelte, ein bisschen wie das Licht des Mondes, bevor es hinter einer Wolke verschwindet. »Aber das ist es
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