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Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Nicken.
    »Und ich weiß, dass du über das, was einmal war, nicht gerne redest.«
    Er sah sie schweigend an.
    »Ich würde gerne erfahren, wer du bist«, sagte sie unverhohlen. »Warum du hier bist.«
    David nippte an seinem Tee und blieb weiter stumm, wie immer, wenn jemand nach seiner Vergangenheit fragte. Kelly war die Letzte gewesen, sie hatte nicht lockergelassen, erst schob sie berufliche Gründe vor, später hatte sie ihm vorgeworfen, dass er sie absichtlich aus seinem Leben ausschloss, aber das war ihm egal gewesen.
    »Der korrekte medizinische Ausdruck lautet Agoraphobie«, sagte er plötzlich. Ein Kloß saß in seiner Kehle, er räusperte sich. »Was nicht viel mehr heißt als Platzangst. Klingt banal, oder? Kann aber die Hölle sein.«
    Er verfiel wieder in sein Schweigen und so saßen sie eine Weile beieinander. Heaven fragte nicht, sah ihn einfach nur aufmerksam an. Ihre Hand lag über seiner. Schließlich fuhr er fort. »Meine Mutter hat seit sieben Jahren das Haus nicht mehr verlassen«, sagte er. »Völlig irre. Am Anfang ist es mir gar nicht aufgefallen, sie ging einfach nicht oft nach draußen.Vielleicht war ich damals zu klein, um es zu bemerken. Oder es ist noch nicht so schlimm gewesen. Aber in den letzten Jahren ist es unerträglich geworden. Sie hat Angst gehabt, dass uns etwas passieren könnte, da draußen. Ja, immer nannte sie es nur: da draußen. Gerade mal zur Schule hat sie uns gelassen, meine Schwester und mich. Manchmal auch nicht.«
    »Was ist mit deinem Vater?«
    David zuckte die Schulter. »Wir sollten Verständnis haben. Es würde schon wieder gut werden. Wir sollten stillhalten und mitspielen, damit es ihr bald bessergeht.« Er blickte Heaven an und wunderte sich, wie leicht es ihm mit einem Mal fiel, darüber zu sprechen. »Das war das Schlimmste, glaube ich. Diese Fassade des Normalen. Mein Vater glaubte nicht wirklich daran, dass meine Mutter wieder gesund werden würde.« David dachte daran, wie oft und wie erbittert er sich mit seinem Vater darüber gestritten hatte. »Er wusste genau, dass die Chancen für eine Heilung minimal sind. Und doch hat er uns mit eingesperrt – und mit meiner Schwester tut er es noch heute. Spielt heile Welt in diesem muffigen Haus in Cardiff, in dem jeden Tag die Wände enger werden.«
    »Deswegen magst du die U-Bahn nicht.«
    »Ja.«
    »Und sonst?«
    »Ich habe schon ziemlich früh darüber nachgedacht, nach London zu gehen. Ganz normal, weißt du? Ein Studium.«
    »Was denn?«, fragte sie interessiert.
    »Keine Ahnung. Literatur, Kunst, so was eben.«
    »Aber sie haben das nicht zugelassen.«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf bei der Erinnerung, wie er versucht hatte, mit ihnen zu reden, das letzte Mal, als er es probiert hatte. Sie hatten in dem dunklen, engen Wohnzimmer gesessen, die Jalousien waren heruntergelassen, wie jeden Tag von morgens bis abends und von abends bis morgens. Es war Sommer gewesen, ein Jahrhundertsommer, wie viele später sagten. Seine Kumpel saßen am Meer, tranken Bier, kifften, sie hatten ihm eine SMS geschickt, gefragt, wo er bliebe, aber er war nicht hingegangen, wie so oft nicht in diesem Sommer.
    Seine Eltern hatten es ihm nicht verboten, natürlich nicht. Aber hatte er eine Wahl gehabt? Die Panikattacken seiner Mutter, wenn er durch die Haustür schlüpfte, ihr schrilles Weinen, das durch das Haus klang, lauter und lauter, stundenlang, der anklagende Blick seines Vaters, der ihm die Schuld dafür gab, die stundenlangen Diskussionen waren besser als jedes Verbot. Früher, am Anfang, hatte sein Vater auch zugeschlagen, wenn ihn das Gekreische seiner Frau dahin getrieben hatte, dass er sich nur auf diese Art und Weise Luft machen konnte.
    David rückte unwillkürlich näher an das offene Fenster und atmete die kalte Luft ein, die von draußen hereinströmte. Er wusste noch genau, wie unerträglich stickig es an jenem Nachmittag in dem Zimmer gewesen war, in dem seit Jahren kein Fenster mehr geöffnet worden war. Der Fernseher lief, er lief Tag und Nacht, als könnte er die Außenwelt ersetzen. Deswegen hasste David Fernseher. Seine Schwester kauerte dicht davor, so verbrachte sie ihre Nachmittage.
    »Ich muss mit euch reden«, hatte David gesagt, und als er den wahnsinnigen Blick seiner Mutter und den flehendenAusdruck im Gesicht seines Vaters gesehen hatte, da hatte er es nicht über die Lippen gebracht. Er hatte es einfach nicht aussprechen können. Er war stumm geblieben. Aber in der Nacht hatte er seine Sachen

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