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Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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erblicken. Dichtes Gestrüpp wuchs zu beiden Seiten des Weges, der sich, immer enger und enger werdend, durch die Nacht schlängelte. Alles wirkte, als hole sich die Natur zurück, was ihr einst genommen worden war.
    »Hast du eine Ahnung, wo das Grab deiner Eltern ist?«
    »Ich finde es. Keine Sorge.«
    »Was werden wir tun, wenn wir dort sind?«
    »Ich weiß nicht.« Heaven schenkte ihm einen Blick, der sein Schweigen erbat. Keine weiteren Fragen dieser Art, bitte, denn ich weiß die Antwort nicht und ich will auch gar nicht darüber nachdenken.
    Er verstand.
    Verwitterte Grabsteine, überzogen von Moos und Efeu, ragten wie tote Zähne aus der feuchten dunklen Erde. Es gab Mausoleen, ägyptisch anmutend mit Figuren und Säulen, die aus den Wänden ragten. Schräg in ihren rostigen Verankerungen hängende Tore wiesen den Weg in tiefe Katakomben, die unter dem wuchernden Gestrüpp lagen und von den Schatten der Denkmäler berührt wurden. Auf den Denkmälern prangten oftmals überlebensgroß die gewaltigen Häupter der schon vor langer Zeit Verstorbenen, grauer Stein mit ernsten Mienen und hohen Kragen und im grauen, fleckigen Basalt verewigte Aristokraten mit dichten Backenbärten.
    Der Wind ließ die dürren Äste gegen die Grabsteine scharren. Es gab nur spärliche Laternen, die den Schatten die Stirn boten.
    »Außer uns treibt sich wohl niemand mehr hier herum«, bemerkte David.
    »Der Friedhof wird am Abend verschlossen.« Heaven ging dicht neben ihm. »Abgesehen davon, dass Herumtreiben hier strengstens verboten ist.«
    »Dachte ich mir.«
    Sie lächelte ihn an, ganz kurz, dann ging es weiter. Wegum Weg. Je tiefer sie in den Friedhof vordrangen, desto stiller wurde Heaven. Ihre Augen waren unruhige Seen, in denen sich die Finsternis in sanften Wellen brach.
    Kopflose Engel auf hohen Sockeln hielten Wache über die Ruhe, die nur der Verkehr auf der Swaine’s Lane störte. Da waren mächtige Löwenskulpturen und Lämmer, die sterbend in Stein verewigt waren. Es gab riesige Adler, die wütend ihre steinernen Schwingen ausbreiteten, und bleiche Jungfrauen aus Marmor, die überaus pathetisch und in sterbenden Posen auf Grabplatten drapiert waren.
    Sie passierten den Circle of Lebanon, einen bekannten Ring aus Grüften, um eine große Zeder gruppiert. Hier gab es ausschließlich Grüfte, deren Schlünde schweigsam und anklagend in der Nacht klafften. Später dann erreichten sie die Egyptian Avenue, die wie eine Stadt für sich wirkte. Es gab verwinkelte Gassen und Treppen und Plätze, an denen man vorbeimusste. Da waren Säulen und Sphinxe an den Familiengrüften aufgereiht. Wie Paläste eines Landes, in dem die Sonne nie aufgeht, so sahen sie aus.
    David hatte sich eine ziemlich genaue Vorstellung von der Grabstätte gemacht, die Heaven suchte. Ein mächtiges Grab vermutete er, protzig, teuer und alt, so ähnlich wie das Haus in Richmond. Ein Grab mit Säulen und Figuren und prächtigen Ornamenten, befallen von Moos und Vergessen.
    Doch Heaven ließ die prächtigen Bauten hinter sich. Schneller und schneller wurden ihre Schritte und bald folgte sie schon einem Pfad, der in einen kleinen Wald hineinführte. Der Boden war mit altem nassem Laub bedeckt, das teilweise gefroren war und knackte, wenn man darüber ging.Hier entlangzulaufen war, als wandele man in einem dunklen Traum. Alles war so unwirklich, grau und schemenhaft.
    Schließlich erreichten sie das Grab von Heavens Eltern. Es war schlicht, nur ein Grabstein, der aus dem Boden ragte. Zwei Namen: Jonathan Mirrlees und River Mirrlees.
    Heaven blieb vor dem Grab stehen, regungslos.
    Es gab keine Blumen, nur Gestrüpp. Es brannte keine Kerze in der Lampe, die, von Efeu überwuchert, kaum noch zu erkennen war. Der verwitterte Grabstein war grau, karg. Nur die Namen. Weder Geburtstag noch Sterbetag der Toten waren ausgewiesen.
    »Hallo, ihr beiden«, flüsterte Heaven. Unsicher schaute sie David an.
    Er trat neben sie, griff nach ihrer Hand und drückte sie.
    »Hier bin ich«, sagte Heaven und zeigte zögerlich ein Lächeln, das fast schon ein Weinen war.
    Der Wind wehte ihnen in die Gesichter. Vereinzelt glaubte David, die zarten Sterne frischen Schnees durch die Nacht treiben zu sehen.
    Er fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen war hierherzukommen. Nichts an diesem Grab sah so aus, als könnte es ihnen Antworten geben. Es war nur ein toter, dunkel verlassener Ort irgendwo auf einem Friedhof im Wald.
    Heaven kniete sich nieder und nahm ein Stück Erde, hielt

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