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Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)

Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)

Titel: Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: François Lelord
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irgendetwas hören. Ist es vielleicht die Stimme des Allerhöchsten?«
    Roger hob den Kopf und blickte Hector an, diesmal mit einem etwas verschreckten Ausdruck.
    »Roger, könnten Sie mir bitte sagen, was Sie da hören?«
    Aber der stellte seine buschigen Augenbrauen von Neuem quer, denn allzu drängende Fragen konnte er nicht leiden.
    Sie stellen sich nun vielleicht vor, dass es Hector durch seine geschickt gewählten und verständnisvollen Worte gelingen wird, Roger zu besänftigen. Im Kino läuft das nämlich immer so ab: Dank seiner tiefen Menschlichkeit und seines wunderbaren Sinns für Psychologie gelingt es dem Psychiater stets, auch noch den tobendsten Irren zu beschwichtigen, und nach ein paar Augenblicken atemloser Spannung bringt er ihn schließlich so weit, dass er wie ein Kind losschluchzt und sanft wie ein Lamm wird. Und weil die Leute allerhand solche Filme gesehen haben, erwarten sie von einem Psychiater genau das – »Da wütet ein gefährlicher Verrückter! Rufen Sie schnell den Psychiater!«
    Hector und seine Kollegen wissen nur zu gut, dass es im wahren Leben nicht immer so abläuft. Wenn sich jemand zu tief ins Dickicht seines Wahns verirrt hat, kann man natürlich versuchen, mit ihm zu sprechen, aber wenn das nicht klappt, ist es besser, die Polizei anzurufen oder ein paar Krankenpfleger, die mit solchen Situationen vertraut sind – jedenfalls Leute, die fit genug sind, um sich auf die betreffende Person zu werfen, und geschickt genug, um sie dabei nicht zu verletzen und ihr auch noch eine Beruhigungsspritze zu verabreichen – auch wenn das keine sehr hübsche Szene ist, was die Persönlichkeitsrechte angeht, den Respekt vor dem originellen Erleben des anderen und die unbezwingbare Macht der Liebe …
    Hector hatte für solche Fälle eine einsatzbereite Spritze in der Schreibtischschublade liegen, ganz in Reichweite, aber er wusste, dass ihm, um eine Katastrophe zu verhindern, angesichts von Rogers Massigkeit und mit einer kaum 50 Kilo wiegenden Sekretärin als einziger Hilfe nur seine Kunstfertigkeit blieb, sein altes Vertrauensverhältnis zu Roger und allerhöchstens noch die Hilfe des Allerhöchsten.
    Plötzlich erklang die Glocke von Saint-Honoré-d’Eylau und zeigte das Ende der Konsultation an.
    Roger erhob sich. »Bin spät dran«, murmelte er.
    »Das macht nichts, Roger, wir müssen noch ein wenig miteinander reden.«
    Roger blieb stehen und wusste nicht recht, ob er fortgehen oder sich wieder hinsetzen sollte.
    Nun stand auch Hector auf und wies von Neuem auf den Sessel.
    »Hier, nehmen Sie doch bitte Platz; ich werde mich in den anderen Sessel setzen«, sagte er und zeigte auf den Sessel für die Partner der Patienten.
    Er hoffte, dass diese kleine Positionsveränderung Roger ein wenig ablenken und zum Hinsetzen bewegen würde. Was auch prompt geschah.
    »Nun, Roger, wie steht es mit dieser Umzugsgeschichte?«
    Roger brummte: »Die umzingeln mich, die stellen mir nach …«
    »Wer umzingelt Sie?«
    Roger schaute Hector an wie jemanden, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, und erklärte ihm schließlich, dass sich gewisse Leute nachts auf den Dächern in der Nähe seiner Einraumwohnung postierten, um ihn auszuspähen; sie hatten auch Beruhigungsmittel in das Wasser gemischt, das aus seinen Wasserhähnen floss; sie hörten ihn mit Mikrofonen ab, die sie in seinem Fernseher versteckt hatten und die sich in Gang setzten, sobald er den Apparat einschaltete. Aber er sah ohnehin nicht mehr fern, nachdem er bemerkt hatte, dass in verschiedenen Sendungen auf seinen persönlichen Fall und seine Umzugsgeschichte angespielt wurde, indem jemand solche sibyllinischen Sätze äußerte wie: »Es ist nun Zeit zu gehen« oder »Komme, was da wolle, wir wagen es!«
    Die Psychiater nennen so etwas »unstrukturierte paranoide Wahnvorstellungen mit Referenzideen«. Hector fand es durchaus interessant, denn es hatte keine Ähnlichkeit mit Rogers früheren messianischen Wahnvorstellungen, aber es war nicht der passende Moment für eine Feinanalyse der Symptome – man musste erreichen, dass Roger wieder Medikamente einnahm.
    »Das alles muss für Sie sehr anstrengend sein, Roger, aber trotzdem ist es nötig, dass Sie wieder Ihre Medizin nehmen.«
    »Ich will aber nicht. Ich will nicht umziehen.«
    »Über den Umzug reden wir noch, aber die Medikamente brauchen Sie jetzt gleich.«
    Kürzen wir ein wenig ab: Die nächste halbe Stunde versuchte Hector, seinen Patienten dazu zu bewegen, jetzt

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