Heidegger - Grundwissen Philosophie
Möglichkeit des Nicht-mehr-Seins in sich aufnehmen muß. Dieses Nicht-mehr-sein-Können ist die Möglichkeit des Todes. Und dieser ist als die Negation des Lebens die letzte Grenze, [87] vor der sich überhaupt die Frage nach einem guten oder nicht verfehlten Leben sinnvoll noch stellen läßt. Die These für sich, man kann sie die Endlichkeitsthese nennen, scheint also gut begründet, eben weil die unüberschreitbare Möglichkeit des Todes konstitutiv für jede individuelle Sinngebung ist.
Anders als bei Hegel, für den das Selbstbewußtsein erst durch die Negation aller ihm äußerlichen Bedingtheiten Selbständigkeit erlangt, beharrt Heidegger mit Recht auf der nicht reduzierbaren Endlichkeit des »je
eigenen
Daseins«, die weder durch dialektische Aufhebungsprozeduren noch durch theologische Heilsversprechen aus der Welt zu diskutieren ist. Denn im Gegensatz zu Hegel, bei dem das Selbstbewußtsein selbst den eigenen Tod nicht zu scheuen braucht, da es im Tod nur den vermittelten Übergang in die konkrete Ewigkeit der Gattungsvernunft vollzieht, so daß diese als dessen »mit ihm versöhnte« Heimat erscheint 44 , erkennt Heidegger, daß mit derartigen Aufhebungsprozeduren die Ermöglichungsbedingungen vergleichgültigt werden, die das endliche Dasein in bestimmten Situationen vor eine Wahl stellt, in der dieses sich selbst wählt.
Von Heidegger läßt sich lernen: Ein unsterbliches Wesen wäre nicht nur ein Unwesen, sondern zugleich ein Wesen, das seinem immerwährenden Dasein überhaupt keinen Sinn abgewinnen könnte. Denn ein Mensch, der seine Sterblichkeit verlöre, würde auch jedes Interesse an den lebensweltlichen Belangen von sterblichen Menschen verlieren. In dieser Hinsicht muß die Frage: »Ist der Tod eine Bedingung der Möglichkeit von
Lebens-Bedeutsamkeit
– oder: von
Lebens-Sinn?
« positiv beantwortet werden. 45 Es ist umstritten, ob dieser existenzielle Befund auch noch eine bedeutungstheoretische Pointe hat, der zufolge ein unsterbliches Wesen mit dem Verlust seiner Sterblichkeit neben dem sinngebenden Interesse an und in der Lebenswelt auch die Fähigkeit zu einer echten Kommunikation mit anderen, nämlich sterblichen Menschen verliert. Wenn dem so wäre, dann müßte sich jedenfalls das »Sein zum Tod« nicht nur als »Bedingung der Möglichkeit von [88]
Lebens-Bedeutsamkeit
« verstehen lassen, sondern auch noch als eine »
subjektiv-existenziale Bedingung
« der Möglichkeit der »
Verstehbarkeit
von Bedeutungen« und damit als eine »notwendige Voraussetzung der Konstitution aller für uns verstehbaren Bedeutungsgehalte.« 46
Wenn der existenzielle Befund also tatsächlich diese bedeutungstheoretische Pointe hätte, dann müßte sich diese Pointe so ausbuchstabieren lassen, daß dieser Sinn ein öffentlich zugänglicher Sinn ist, da ein nicht öffentlich zugänglicher Sinn ein Un-Sinn ist, zumal mit der Anerkennung der Endlichkeitsthese die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit eines intersubjektiv gültigen Sinnverstehens von etwas als etwas und die Frage nach der Intersubjektivität von sprachlich geteilten Bedeutungen noch nicht beantwortet sind. Und genau dies versucht Heidegger. Ihm zufolge liegt die Pointe der Endlichkeitsthese nicht nur in dem Nachweis, daß sich mit Rekurs auf das »je
eigene
Dasein« die Frage nach dem guten oder gelingenden Leben beantworten lassen muß, sondern auch darin, daß sich mit Rekurs auf dieses Dasein darüber hinaus die Intersubjektivität einer gemeinsamen Lebenswelt und die Intersubjektivität von sprachlich geteilten Bedeutungen verständlich machen läßt. Doch genau dies erweist sich als unmöglich, da sich die Vorgängigkeit der Intersubjektivität der Lebenswelt vor der »je-meinigkeit« des Daseins einer Begrifflichkeit entzieht, die dem Solipsismus der Husserlschen Phänomenologie verhaftet bleibt.
Das in unserem Zusammenhang relevante Problem resultiert daraus, daß Heidegger die Endlichkeitsthese zur Eigentlichkeitsthese radikalisiert und auf das Problem von Rede und Verstehen überträgt. Heidegger meint, daß das »Verstehen der Existenz« »entweder eigentliches, aus dem eigenen Selbst als solchem entspringendes, oder uneigentliches« sei. (SZ 146) So erweitert er in einem ersten Schritt mit Rekurs auf das praktische Verhältnis zu mir als denkendem und handelndem Subjekt den Begriff des Selbstverhältnisses über den des theoretischen Selbstbewußtseins hinaus. Dann schaltet er in einem [89] zweiten Schritt das praktische
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