Heidegger - Grundwissen Philosophie
Selbstverhältnis vor das hermeneutische Verstehen, so daß dieses in jenem gründet. Und da das menschliche Dasein sich im Horizont seiner Möglichkeiten ergreifen muß, sofern es nicht ein Leben im Modus der Uneigentlichkeit führen will, begründet die »Eigentlichkeit« das »eigentliche Verstehen«.
Das Gerede und die Neugier
Heidegger hat in
Sein und Zeit
dem »Gerede« – neben der »Neugier« und der »Zweideutigkeit« die dritte Weise, in der das Dasein in seiner Alltäglichkeit sein »›Da‹, die Erschlossenheit des In-der-Welt-seins« als Verfallenheit realisiert – einen eigenen Paragraphen gewidmet, in dem er die »existenziale Seinsart der ausgesprochenen und aussprechenden Rede« klären will. Dazu bedarf es nicht nur einer Analyse, wie die »Ausgesprochenheit […] im Ganzen ihrer gegliederten Bedeutungszusammenhänge ein Verstehen der erschlossenen Welt und gleichursprünglich damit ein Verstehen des Mitdaseins Anderer und des je eigenen In-Seins« »verwahrt«; untersucht werden muß auch, wie sich jeweils das erschlossene bzw. verschlossene Sein zum »Beredeten der Rede« bringt. Heidegger will eine Antwort auf die Frage geben, welches die »existenzialen Charaktere der Erschlossenheit des In-der-Welt-seins« sind, sofern sich dieses alltägliche In-der-Welt-Sein an die »Seinsart des Man hält«. Diese Frage ist schon allein aus dem Grund bedeutsam, weil von ihrer Antwort abhängt, ob dem alltäglichen In-der-Welt-Sein ein »besonderes Verstehen, Reden und Auslegen« eignet.
Um diese Frage zu beantworten, fordert Heidegger eine ontologisch zureichende Explikation jener Seinsart, in der sich das Dasein »zunächst und zumeist« hält. Mit einer solchen ontologischen Explikation ist jedoch noch nicht entschieden, inwieweit Sprache und Verstehen von dieser Seinsart betroffen [90] werden. Die ontologische Explikation des alltäglichen In-der-Welt-Seins ist lediglich eine notwendige, keinesfalls aber eine hinreichende Bedingung, um eine Antwort auf diese Frage zu finden. Zusätzlich bedarf es einer in »rein ontologischer Absicht« geleiteten Interpretation, wie sich jenes an das »Man« verfallene Dasein zur Sprache bringt. Die Frage, in welcher Seinsart sich das Dasein »zunächst und zumeist« hält, hat Heidegger schon im § 27 des vierten Kapitels von
Sein und Zeit
geklärt: Das »Dasein steht als alltägliches Miteinandersein in der
Botmäßigkeit
der Anderen«. Dieses in fremder Botmäßigkeit stehende und daher fremdbestimmte Dasein ist durch »Abständigkeit, Durchschnittlichkeit und Einebnung« seiner positiven Seinsmöglichkeiten charakterisiert. Der Ort, an dem sich dieses durch das »Man« fremdbestimmte Dasein hält, ist die »Öffentlichkeit«. Ihr attestiert Heidegger nicht nur einen nivellierenden, sondern auch einen autoritären Charakter. Dieser autoritäre Charakter wird wesentlich durch das »
Weiter
- und
Nachreden
« befestigt, und zwar insofern, als in der von Heidegger als »autoritär« apostrophierten Öffentlichkeit die Sache so ist, »weil man es sagt. In solchem Nach- und Weiterreden, dadurch sich das schon anfängliche Fehlen der Bodenständigkeit zur völligen Bodenlosigkeit steigert, konstituiert sich das Gerede.« (SZ 168)
Später, im
Brief über den »Humanismus
«, wird Heidegger mit Bezug auf § 27 und 35 sagen, daß diese Öffentlichkeit eine metaphysisch bedingte sei, »weil aus der Herrschaft der Subjektivität stammende Einrichtung und Ermächtigung der Offenheit des Seienden in die unbedingte Vergegenständlichung von allem«. Diese Vergegenständlichung ist auch der Grund, warum »die Sprache in den Dienst des Vermittelns der Verkehrswege« gerät, »auf denen sich die Vergegenständlichung als die gleichförmige Zugänglichkeit von Allem für Alle unter Mißachtung jeder Grenze ausbreitet. So kommt die Sprache unter die Diktatur der Öffentlichkeit. Diese entscheidet im voraus, was verständlich ist und was als unverständlich verworfen werden muß.« (GA 9, 317) Zwar werden im [91]
Humanismusbrief
der »Sprachverfall« und die »Verödung der Sprache« aus einer seinsphilosophischen Perspektive diagnostiziert. Jedoch hier wie in
Sein und Zeit
wird mit dem »Man« eine Instanz namhaft gemacht, die die Sprache unter die Botmäßigkeit der Öffentlichkeit bringt, so daß diese eben damit zum Gerede wird. Da das an das »Man« verfallene Dasein sich nur in der nivellierenden Form der Durchschnittlichkeit auszudrücken vermag – anders als Kant gewinnt
Weitere Kostenlose Bücher