Heidegger - Grundwissen Philosophie
Cassirer zu Recht herausgestellt wurde 65 , reiht sich Heidegger zunächst in den allgemeinen Zug wendebewußter Kant-Interpretationen ein – man denke hier nur an Max Scheler (1874–1928), Nicolai Hartmann (1882–1950), den späten Rickert, Heinz Heimsoeth (1886–1976) oder Aloys Riehl (1844–1924). Gleichzeitig unterscheidet sich Heideggers Analyse in signifikanter Weise von diesen mehr oder weniger am Gedanken der traditionellen Ontologie festhaltenden Kant-Interpretationen. Dies macht schon die Art des Festhaltens an der transzendentalphilosophischen Fragestellung bei gleichzeitiger Abkehr von der transzendental-idealistischen Spezifik deutlich, die überhaupt erst die Ablösung, oder besser die Herauslösung des Apriori-Gedankens aus seiner subjektphilosophischen Verklammerung ermöglicht. Zwar ist auch für Heidegger der Apriorismus »die Methode jeder wissenschaftlichen Philosophie, die sich selbst versteht« (SZ 12). Im Unterschied zu Kant will er aber das Apriori nicht als [113] Vernunftapriori, sondern als »Apriori der Faktizität des Daseins« verstehen.
Wie nun die Ausführungen in
Sein und Zeit
und seine Kant-Auslegungen bezeugen, stellt sich ihm bei diesem Problem eine Reihe von Schwierigkeiten. Die wichtigste besteht darin, eine Transzendentalphilosophie kantischen Zuschnitts auf die Fundamentalontologie zu beziehen, um auf deren Basis die vernunftkritische Freilegung der Grenzen menschlicher Erkenntnisleistungen als Entbergung einer Endlichkeit »existenziellen« Sinns plausibel zu machen. Weiterhin wäre hier zu nennen: der Ausweis der Verwurzelung von Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft in der transzendentalen Einbildungskraft als einem Grundvermögen, das sich seinerseits als ursprüngliche Zeit erweist, und schließlich – vor allem beim späten Heidegger wird dies deutlich – die Schwierigkeit, Subjektivität als ein Vermögen der Spontaneität und der Selbstgesetzgebung zugunsten des Ereignisaspekts menschlichen Wirklichkeitsverhaltens einzuziehen.
Es ist hier nicht der Ort, Heideggers Kant-Interpretation einer Analyse zu unterziehen. Fest steht, daß Heidegger Kant attestiert, einen Weg in die richtige Richtung gegangen zu sein. Statt diesen Weg jedoch konsequent weiterzugehen, bleibt Kant auf halbem Wege stehen. Denn dieser führt zwar mit seiner Vernunftkritik zur »Enthüllung der inneren Möglichkeiten der Ontologie« (GA 3, 12), dieses Ziel erreicht er aber nicht, da er die Prinzipien der Subjektivität nur so weit untersucht, wie es für die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori erforderlich ist. Das hat zur Folge, daß sich Kant mit einer Regionalontologie des Seins als Vorhandensein zufriedengeben muß. Mehr noch: Da Kant das »Erkennen als betrachtendes Bestimmen des Vorhandenen« faßt, dieses »betrachtende Bestimmen« allerdings ein defizienter Modus des »besorgenden Zu-tun-habens« ist (SZ 61), hat er zusammen mit dem »Phänomen der Welt« auch das Sein des zunächst zuhandenen innerweltlichen Seienden übersprungen.
[114] Dies birgt eine Reihe von Folgeproblemen. Indem die traditionelle Onto-Logik das Phänomen der Welt überspringt, kommt es zu jenem »Realitätsproblem«, das Kant zu der berühmten Feststellung bewog, es sei ein »Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft«, daß wir »das Dasein der Dinge außer uns […] bloß
auf Glauben
annehmen müssen, und, wenn es jemand einfällt es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen können« 66 . Heidegger hingegen meint, daß der Skandal der Philosophie nicht darin besteht, daß jener von Kant geforderte Beweis immer noch aussteht, »sondern
darin, daß solche Beweise immer wieder erwartet und versucht werden
. Dergleichen Erwartungen, Absichten und Forderungen erwachsen einer ontologisch unzureichenden Ansetzung
dessen, davon
unabhängig und ›außerhalb‹ eine ›Welt‹ als vorhandene bewiesen werden soll. Nicht die Beweise sind unzureichend, sondern die Seinsart des beweisenden und beweisheischenden Seienden ist
unterbestimmt
.« (SZ 205)
Und in der Tat: Kant muß sich von Heidegger vorhalten lassen, daß er bei der »Widerlegung des Idealismus« jenen Prämissen verhaftet bleibt, gegen die er beweistheoretisch opponiert: etwa daß die Außenwelt nur mein Traum und das »Ich denke« die einzige Zweifelsfreiheit garantierende Instanz ist. Die scheinbar unschuldige Rede, daß eventuell alles »bloß mein Traum« ist, setzt offensichtlich
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