Heidelberger Lügen
Frau.«
Balke brach in Gelächter aus, aber ich fand Runkels Idee gar nicht so schlecht. So verbrachten wir die nächste halbe Stunde damit, Bänder hin und her zu spulen und wieder und wieder Plätschergeräusche zu vergleichen. Wir kamen zu keinem Ergebnis. Um viertel vor zwei erhob ich mich und winkte grüßend in die Runde.
»Falls etwas ist, mein Handy ist die ganze Nacht an.«
Nach viel zu wenig Schlaf weckte mich das Geklapper und Gekicher der Zwillinge in der Küche. Noch auf der Bettkante sitzend, wählte ich die Nummer von Balkes Handy. Er meldete sich sofort.
»Tote Hose«, begann er seinen maulfaulen Bericht. »Die ganze Nacht hat sich absolut nichts geregt da drin. Vorhin hat der Hahn fünf Mal gekräht. Gibt gutes Wetter, meint Rübe.«
»Ich lasse Sie nachher von Vangelis ablösen. Dann können Sie endlich nach Hause.«
»Das ist jetzt auch schon egal«, erwiderte er mürrisch. »Jetzt kann ich auch hier bleiben und die Sache zu Ende bringen. Wir stürmen doch heute?«
»Nicht, solange die Tante nicht in Sicherheit ist.«
»Er wird ihr nichts tun. Sie ist ja praktisch seine Mutter!«
»Mit der ersten Frau, die er umgebracht hat, war er verheiratet.«
»Ich dachte, er steht vorläufig nur im Verdacht …?«, bemerkte Balke hinterhältig. Ich legte auf.
Nun musste ich in die Küche und meine Mädchen zur Rede stellen. Leider war mein gestriger Zorn inzwischen verraucht. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, sie zur Rede zu stellen, solange ich noch wütend war. Es ist nämlich gar nicht so einfach, frühmorgens ohne aktuellen Anlass wütend zu sein. Als ich die Küche endlich betrat, fand ich sie verwaist. So früh hatten meine Töchter noch nie ohne Not das Haus verlassen. Sollten sie die drohende Gefahr gerochen haben?
Natürlich wusste Sönnchen schon Bescheid. Und die Presse leider auch. Ein Nachrichtenredakteur des SWR und der Lokalchef der Rhein-Neckar-Zeitung hatten bereits mehrfach angerufen, berichtete sie mir, und verlangten zu wissen, was diese merkwürdigen Aktivitäten der Polizei in Wieblingen zu bedeuten hatten. Vermutlich hatte doch jemand nicht dicht gehalten. Zum Glück kannte ich die beiden aus verschiedenen Pressekonferenzen. Ich rief sie zurück und zog sie ins Vertrauen, nicht ohne auf die Exklusivität der Informationen hinzuweisen. Sie versprachen stillzuhalten, bis ich persönlich die Freigabe zur Veröffentlichung erteilte. Aber selbstverständlich würde man Leute schicken müssen. Fotografen, Reporter, ein Kamerateam.
Dann rief ich Vangelis an, die inzwischen Balke abgelöst hatte.
»Sie sollten vielleicht mal wieder die Tante anrufen«, schlug ich vor. »Geben Sie sich als Mitarbeiterin eines Meinungsforschungsinstituts aus oder als Telefonverkäuferin für Schnellkochtöpfe. Ihnen wird schon was einfallen.«
»Das geht nicht. Die Techniker von der Telekom sagen, das Telefon ist ausgesteckt.«
»Wie sieht es sonst aus?«
»Seit es hell ist, haben wir Leute in den benachbarten Häusern. Wenn die Läden nicht zu wären, könnten wir in jedes Fenster hineinsehen.«
»Tut sich irgendwas im Haus? Hört man etwas?«
»Nichts.«
»Irgendwann muss er Hunger kriegen. Früher oder später werden ihm die Lebensmittel ausgehen.«
»Alte Tanten haben oft enorme Vorräte für Notzeiten.«
»Sorgen Sie dafür, dass auf der Straße hin und wieder Verkehr ist. Sonst merkt er, dass wir ihn schon im Visier haben.«
»Es sind sogar hin und wieder Spaziergänger unterwegs.« Vangelis klang milde beleidigt. »Natürlich alle von uns, wir wollen ja keine Unbeteiligten …« Sie verstummte. »Oh, oh«, sagte sie nach Sekunden leise. »Das gefällt mir aber gar nicht.«
»Was ist?«
»Ein Hubschrauber. Ich höre einen Hubschrauber.«
Jetzt hörte ich es auch, das dumpfe Dröhnen und Knattern. Das Geräusch schien nicht näher zu kommen, sich aber auch nicht zu entfernen.
»Von uns ist der nicht«, stellte Vangelis fest. »Er steht über dem Haus. Das Fernsehen vermutlich.«
»Mist!«, zischte ich. »Damit sind wir aufgeflogen. Wir müssen unbedingt mit ihm ins Gespräch kommen. Ich fordere gleich einen dieser Verhandlungsspezialisten vom LKA an und …«
Ich hörte ein Geräusch, das beunruhigend nach einem Schuss klang.
»Hallo? Sind Sie noch da?«
»Ich wünsche, ich wäre es nicht«, erwiderte Vangelis tonlos. »Hörrle hat geschossen. Unsere Kamera ist hin.«
»Auf die Entfernung? Dieses winzige Ding?«
»Ich habe vorhin ein wenig in seiner Akte
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