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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Ihr wollt abends plötzlich nicht weg. Ihr seid nicht beleidigt, wenn ich spät heimkomme. Seid ihr krank?«
    »Mathearbeit. Wir müssen lernen.«
    Ich schilderte ihr meine Lage. »Solange dieser Kerl in Wieblingen seine arme alte Tante als Geisel hält, muss ich eben viel arbeiten. So ist das nun mal bei der Polizei. Ihr habt doch bestimmt schon davon gehört?«
    »Klaro«, erwiderte Sarah gelangweilt. »Es kommt ja dauernd im Fernsehen.«
    »Am Wochenende, okay? Da habe ich wieder Zeit für euch. Wir könnten in den Zoo gehen.«
    »Zoo ist für Babys.«
    »Oder mal wieder einen Monopoly-Abend veranstalten?«
    »Mal sehen.«
    Wenn meine Töchter nicht einmal Lust verspürten, mich bei ihrem Lieblingsspiel niederzumachen, dann bestand wirklich Grund zur Sorge. Sollte ich Lorenzo doch lieber absagen?
     
    Frau Knorr erinnerte sich sofort an Sören Kriegel.
    »In meiner Position, in meiner damaligen Position, ich hab natürlich alle gekannt. Nicht so, wie diese … die jetzt im Vorzimmer sitzt.«
    Meiner Theorie, Kriegel habe im Auftrag der ehemaligen Firmenleitung versucht, technisches Know-how zu Geld zu machen, widersprach sie überzeugt.
    »Die Chefs damals waren anders als heute. Die hatten noch Charakter und Anstand. Für die waren Angestellte auch nicht nur Human Resources und Kostenstellen.«
    »Sie mögen die neue Firmenleitung offenbar nicht besonders.«
    Sie rammte ein schmales, schwarzes Lackhandtäschchen auf ihre Knie und funkelte mich an. »Ertrag ist doch heute alles, was zählt! Aus den Leuten rauspressen, was nur geht, und wenn einer nicht mehr kann: Adieu, und wo ist der Nächste? Jeder hat Angst um seinen Job und buckelt, dass man den ganzen Tag heulen möchte. Jetzt haben sie sogar den Betriebsausflug abgesagt, stellen Sie sich das mal vor! Bis auf weiteres heißt es, bis die Firma gesund ist. Dass ich nicht lache! Das sind doch keine Menschen, das sind Automaten!« Mit einem wütenden Schnauben erklärte sie ihren Ausbruch für beendet.
    Ich spielte mit meinem Kugelschreiber. »Wie schätzen Sie Kriegel ein? War er nett? Ehrlich? Sozial?«
    »Was soll ich sagen? Ja, eigentlich war er ganz sympathisch. Charmant sogar, irgendwie. Jedenfalls nicht so ein Schleimbeutel wie dieser McFerrin. Auf der anderen Seite hab ich immer das Gefühl gehabt, der Sören, das ist ein Schlitzohr. Der sieht zu, dass er seine Schäfchen im Trockenen hat.«
    »Halten Sie es für denkbar, dass er seinen Arbeitgeber hintergangen hat? Dass er Firmengeheimnisse an die Konkurrenz verkaufen wollte?«
    Frau Knorr überlegte lange mit gesenktem Blick. Sie war wirklich eine adrette Person, klein, zierlich, temperamentvoll. Ein wenig hatte sie Ähnlichkeit mit Klara Vangelis. Nur das schwarze Haar trug sie kürzer. Schließlich sah sie auf.
    »Ja. Warum eigentlich nicht? Jeder hat damals gewusst, dass die Firma verkauft wird, dass es Arbeitsplätze kosten wird. Eine Weile ging sogar das Gerücht, die ganze Entwicklungsabteilung wird aufgelöst und nach Paris verlagert. Warum soll da nicht einer auf komische Gedanken gekommen sein? Ehrlich, wenn ich eine Idee gehabt hätte, wie ich ein bisschen was für mich abzweigen könnte, wer weiß …«
     
    Im Einsatzwagen traf ich Klara Vangelis mit halb geschlossenen Lidern vor den Monitoren an. Mehr denn je roch es nach Runkels Füßen. Obwohl er ununterbrochen gähnte, hatte er offenbar nicht vor, wenigstens ein paar Stunden nach Hause zu fahren und sich aufs Ohr zu legen. Und vielleicht auch zu duschen.
    »Nichts«, fauchte Vangelis, »seit Stunden absolut nichts mehr! Wenn das Mikro nicht wäre, ich würde denken, er ist tot.«
    »Was hört man?«
    »Gegen Mittag hat jemand gekocht. Manchmal hört man Stimmen.«
    »Stimmen?«
    Sie drückte eine Taste, suchte eine Stelle in den Tonaufzeichnungen.
    »Hier zum Beispiel.«
    Ich hörte leises Gemurmel. Zu verstehen war nichts. Dann Schritte, ein Mal eine Tür, die ins Schloss fiel, alles von starkem Rauschen überdeckt. Das Mikrofon war offenbar an seiner Leistungsgrenze.
    »Es könnte ein Radio sein«, überlegte ich, »oder ein Fernseher. Er hört vermutlich Nachrichten. Er wird wissen wollen, was draußen vorgeht. Haben Sie inzwischen Anzeichen dafür, dass die Tante noch lebt?«
    Vangelis schüttelte erschöpft den Kopf. »Da sie immer noch nicht aufgetaucht ist, muss sie wohl im Haus sein. Da man nichts von ihr hört, nehme ich an, er hat sie umgebracht.« Wütend schmiss sie ihren schlanken, silbernen Kugelschreiber auf den Tisch.

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