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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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wütend war. Zwar habe ich immer schon zu den Menschen gehört, die beim Anblick einer beeindruckenden Burg zuerst an die armen Kerle denken müssen, die die ganzen Steine geschleppt haben, ansonsten zähle ich mich politisch jedoch eher zur gemäßigten Fraktion. Vielleicht war es das leise, ironische Lächeln dieses Kerls, dieses unerschütterliche Selbstbewusstsein, das mich so wütend machte.
    »Verzeihen Sie, wenn ich Sie korrigiere.« Er hielt meinem Blick mühelos stand. »Auf die Straße setzen müssen. Fünfundzwanzig Prozent Effektivitätssteigerung innerhalb von sechs Monaten, so lautet meine Vorgabe aus Paris. Wenn ich das nicht schaffe, dann wird es noch einen Arbeitslosen mehr geben – nämlich mich. Und Sie sollten bitte in Ihrer Empörung nicht ganz vergessen, dass die Firma sowieso den Bach hinuntergegangen wäre. Und das hätte dann noch viel mehr Leute ihre Jobs gekostet.«
    »Oh ja, man liest es ja täglich in der Zeitung: Wir bauen Arbeitsplätze ab, um andere zu retten«, entgegnete ich scharf. »Ich bin davon überzeugt, Sie sind Ihrer Aufgabe gewachsen.«
    Endlich hörte er auf zu grinsen. »Ja, ich denke, das bin ich durchaus. Und gestatten Sie mir die Bemerkung: Es ist nicht alles falsch, was in den Zeitungen steht.«
    »In Wirklichkeit geht es doch um etwas ganz anderes. Es geht doch darum, möglichst viele Menschen zu entlassen, damit ein paar wenige, die ohnehin schon mehr als genug besitzen, noch ein bisschen mehr bekommen.«
    Holthausens überlegene Miene erinnerte mich an den Satz, den ich irgendwo gelesen hatte: Lächeln ist die eleganteste Art, einander die Zähne zu zeigen. »Ich nehme an, Sie sind Beamter, Herr Gerlach?«
    »Ich wüsste nicht, was …«
    »Da werden Sie später einmal eine ordentliche Pension bekommen?«
    »Zum Überleben dürfte es reichen.« Mein Kaffee war inzwischen kalt geworden. Plötzlich wurde mir bewusst, dass das kompletter Unsinn war, was ich hier tat. Schlimmer noch, ich hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen. Ich brauchte diesen Mann als Zeugen. Es war idiotisch, ihn gegen mich aufzubringen. Ein blöder Anfängerfehler.
    »Entschuldigen Sie. Das ist jetzt vielleicht doch nicht unser Thema …«
    »Oh nein. So leicht kommen Sie mir nicht davon.« Er lehnte sich zurück, stützte einen Ellbogen auf die Armlehne und das Kinn in die Hand. Jetzt war er sehr ernst. »Werden Sie von Ihrer Pension leben, oder sorgen Sie noch auf anderem Wege ein bisschen vor?«
    »Ich weiß zwar nicht, was das mit dem Grund meines Besuchs zu tun hat, aber okay. Ja, ich habe noch eine Lebensversicherung. Ich habe Kinder. Die müssen versorgt sein, falls mir etwas zustößt.«
    »Eine Kapitallebensversicherung, vermute ich?« In seinen Augen glitzerte etwas, was mich nichts Gutes ahnen ließ.
    Ich nickte.
    »Und was erwarten Sie von Ihrer Versicherung?«
    Es war klar, er spielte mit mir, und ich war drauf und dran zu verlieren, ohne einen Schimmer zu haben, wie die Regeln waren.
    »Was ich davon erwarte? Dass man mir am Ende mein Geld ausbezahlt«, antwortete ich so beiläufig wie möglich. »Aber wir sollten jetzt wirklich …«
    »Erwarten Sie nicht noch ein bisschen mehr? Eine kleine Rendite vielleicht?«
    Ich kam einfach nicht dahinter, worauf Holthausen hinauswollte. »Dazu sind diese Leute doch schließlich da, dass sie unser Geld gut anlegen und ein wenig vermehren. Was ist daran nicht in Ordnung?«
    Holthausen erhob sich. »Dann darf ich Sie herzlich beglückwünschen, Herr Gerlach. Mit einiger Sicherheit sind auch Sie Aktionär unseres Hauses.«
    Mein Blick muss ziemlich dämlich gewesen sein.
    Es lag kein Triumph in seiner Stimme, eher sogar eine Spur von Resignation, als er fortfuhr: »Es ist nicht so, wie Sie denken. Es sind nicht nur die bösen Reichen mit Villen in Saint Tropez, die uns antreiben. Ein Großteil des Geldes, das auf den internationalen Kapitalmärkten herumvagabundiert, sind die Notgroschen der Menschen wie Sie und ich.«
    Endlich verstand ich. »Sie wollen mir doch nicht etwa einreden, dass Sie hier Menschen brotlos machen, nur um mir einen Gefallen zu tun?«
    »Ich möchte Ihnen überhaupt nichts einreden. Aber es ist so. Einen erheblichen Teil der SETAC-Aktien halten amerikanische Pensionsfonds und deutsche Versicherungskonzerne. Und die Versicherer sind nun mal zurzeit hinter Gewinn bringenden Anlagen her wie der Teufel hinter armen Seelen. Anfang des Jahrzehnts haben sie Unsummen in den Sand gesetzt, als der Aktienmarkt zusammenbrach.

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