Heidelberger Lügen
kurzen Schnuppern an meinen Schuhen so still, wie sie gekommen war.
»Man liest auch heute noch viel von Industriespionage und Computerviren, und wie viel Schaden Jahr für Jahr dadurch entsteht. Warum konnte die Firma sich am Ende trotzdem nicht halten?«
Frau Johansson nickte nachdenklich und sah an mir vorbei ins Weite. »Jedes Jahr hat Sören noch mehr Leute eingestellt. Damals hat er gedacht, er hat’s geschafft. Aber dann ist es auf einmal irgendwie schief gegangen. Diese Computerwelt dreht sich so rasend schnell. Ein halbes Jahr nicht aufgepasst, und schon sind Sie weg. Erst hat er sich mit einem großen Kunden verkracht, ich meine, es war die BASF. Er hat eine Weile herumprozessiert, weil die eine Rechnung nicht bezahlen wollten. Am Ende hat er verloren, es ging um über eine halbe Million oder sogar noch mehr. Er hatte von Anfang an keine Chance gegen die. Sören war manchmal … ich will nicht sagen streitsüchtig, aber ein bisschen schwierig. Er war eben Techniker und kein Verkäufer. Und er konnte es nicht leiden, wenn er im Unrecht war. Auch innerhalb der Firma hat es öfter Krach und Streit gegeben seinetwegen. Einer hat sogar gekündigt, weil er Sören als Chef nicht ertragen konnte.«
Sie musste sich weit vorbeugen, um den Cognacschwenker wieder in die Hand zu nehmen.
»Es war aber nicht nur das. Seine Kunden begannen mit der Zeit, eigenes Know-how aufzubauen. Die wollten den Schutz ihrer geheimsten Geheimnisse auf Dauer natürlich nicht externen Beratern überlassen. Und auf einmal musste er sich nach neuen Geschäftsfeldern umsehen. Das war nicht einfach. Die Goldgräberzeit der EDV-Branche war schon vorbei. Damals hat ja jeder, der eine Maus richtig herum halten konnte, eine Firma aufgemacht. Dann kam auch noch der Zusammenbruch dieser Internet-Euphorie, und die Preise für alles, was mit Computern zu tun hatte, sausten in den Keller. Innerhalb weniger Monate musste Sören den größten Teil seiner Leute entlassen und war auf einmal hoch verschuldet. Irgendwann kam er dann mit einer tollen Idee, etwas ganz Neues, Sensationelles, womit sie wieder groß rauskommen würden. Und damit hat er sich dann endgültig übernommen. Noch bevor sie fertig waren mit dieser genialen Entwicklung, ging ihm das Geld aus.«
»Was für eine Art von Projekt war das?«, fragte ich aufmerksam.
»Ehrlich, ich habe keinen Schimmer.« Die Bewegung, mit der sie sich über die Stirn fuhr, wirkte fahrig. Vielleicht berührte das Thema sie doch mehr, als sie wahrhaben mochte. »Ich weiß nur, dass es der Durchbruch werden sollte, ein Neuanfang, die Lösung aller Probleme. Sören hat sehr wichtig getan damit, niemand durfte etwas Genaueres wissen, nicht mal ich. Aber damals hab ich mich auch schon nicht mehr so sehr interessiert für seinen Kram.«
Bei den letzten Worten hatte ihre Miene sich verfinstert. Auf dem Tisch lagen säuberlich nebeneinander ein kleiner Keramik-Aschenbecher, eine geöffnete Packung Dunhill und ein schlankes, silbernes Feuerzeug. Ihre Hand und ihr Blick glitten immer wieder dorthin, aber jedes Mal zuckte sie zurück. Vermutlich war sie dabei, sich das Rauchen abzugewöhnen.
»Warum sagen Sie das? Warum in diesem Ton?«
Sie wandte den Blick ab und blinzelte ins Weite. »Sehen Sie, Herr Gerlach, es gibt Männer, die betrügen einen mit einer anderen Frau. Und es gibt andere, die betrügen einen mit ihrer Arbeit. Anfangs dachte ich, das Zweite wäre die bessere Variante. Aber inzwischen weiß ich, das stimmt nicht. Auf eine Rivalin kann man wenigstens mit Recht eifersüchtig sein. Auf eine Firma nicht. Das war ja das Mieseste dabei: Er hat sich auch noch groß gefühlt, wenn er wieder mal nachts um halb zwei heimgekommen ist, mir irgendwas von einem tollen Durchbruch vorgeschwärmt hat und in der nächsten Minute eingeschlafen war. ›Schatz, ich tue das doch auch für dich‹, was glauben Sie wohl, wie oft ich diese Worte gehört habe?«
»Die Trennung ist dann von Ihnen ausgegangen?«
Irgendwo trillerte ein Telefon. Mit einem entschuldigenden Blick sprang sie auf und ging hinaus in den Vorraum. Sie sprach leise, und ich konnte nicht viel verstehen.
»Nein, der ist immer noch in Urlaub … Ich glaube kaum, dass Sie das was angeht … Morgen? Ja, möglich …« Ihre Stimme wurde ungeduldig. »Okay … Ja, er wird Sie zurückrufen, wenn es wirklich so dringend ist.«
Mir fiel auf, dass es in diesem Haus nicht so sauber war, wie es dem gepflegten Ambiente entsprochen hätte. Auf der Platte des
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