Heidelberger Lügen
Hause, als ich die Tür aufschloss. Sie hockten in der Küche, spielten mit ihren Handys und begrüßten mich mit dieser gelangweilten Herablassung, die nur weibliche Teenager und satte Katzen aufbringen.
Die Handys hatte ich den beiden zu Weihnachten geschenkt, weil alle Handys hatten, einfach alle, nur meine armen Töchter nicht. Natürlich war das nicht ganz ohne Hintergedanken geschehen, weil ich sie so eher unter Kontrolle halten konnte, wenn sie unterwegs waren.
»Na, schon daheim?«, fragte ich leutselig. »Habt ihr was gegessen?«
»Kein Hunger«, kam es in Stereo.
»Ich hab heute Abend frei. Sollen wir irgendwas machen?«
»Keine Lust.«
Ich setzte mich, nahm ihnen die Handys weg. »Was ist los mit euch beiden?«
»Nichts.«
»Ihr bekommt eure Spielzeuge erst wieder, wenn ich weiß, warum ihr in den letzten Tagen so komisch seid.«
»Komisch?« Erstaunt sahen sie sich an. »Sind wir komisch?«
»Ihr geht nicht mehr zusammen aus. Ihr zieht euch verschieden an. Eine ist weg, die andere hängt hier rum und bläst Trübsal. Am nächsten Tag ist es umgekehrt. Da stimmt doch was nicht. Raus mit der Sprache. Ich lasse nicht locker. Geht’s um Jungs?«
»Jungs?«, fragten sie mit großen Augen zurück. Aber ich war mir sicher, den wunden Punkt getroffen zu haben. Sehnsuchtsvoll äugten sie nach ihren Handys. Nach der Tür. Nach irgendeinem Ausweg. Sie begannen zu blinzeln. Sie schluckten. Und dann fingen sie gleichzeitig an zu zetern. Über Jungs im Allgemeinen und einen bestimmten Frank im Besonderen, der zwar ein Ass in Französisch war, und ein hübscher Kerl mit unglaublich schönen Augen obendrein, aber ansonsten etwas ganz unvorstellbar Widerliches. Ein Hund, ein Schwein, ein Lügner und Betrüger und noch Diverses anderes.
Als sie sich endlich beruhigten und wieder in normaler Lautstärke und zusammenhängenden Sätzen sprechen konnten, hatte ich mir das Wesentliche schon zusammengereimt. Dieser Frank, der wirklich ein außerordentlich charakterloser Kerl und Macho sein musste, hatte meinen armen Töchtern den Kopf verdreht. Prompt hatten sie sich in ihn verliebt, beide, und dieser Schuft hatte erst versucht, meine kleine Louise herumzukriegen (»Ins Bett wollte der mit mir! Sonst nichts! Sag mal, sind alle Männer so?«) und als das nicht klappen wollte, hatte er die Front gewechselt und es bei Sarah versucht: »Jungs! Die wollen doch alle nur das Eine!«
Ich verkniff mir die Bemerkung, dass es durchaus auch Frauen gab, die nichts anderes im Kopf hatten. Wir beschlossen, heute Abend alle Handys ausgeschaltet zu lassen, und überlegten, was wir essen wollten. Plötzlich hatten sie doch Hunger. Wir einigten uns auf Spaghetti, zur Feier des Tages mit Cola, und ich fand sogar noch eine Flasche Chianti in der Küche. Es wurde ein schöner Abend, bei dem wir endlich wieder einmal zusammen lachten. Zum ersten Mal seit langer Zeit waren wir wieder so etwas wie eine Familie.
Erst als ich im Bett lag, schaltete ich mein Handy wieder ein. Aber es blieb still. Nur kurz dachte ich an das drohende Abendessen im Hause Liebekind, und dass ich völlig vergessen hatte, meine Töchter vorzuwarnen. Aber vielleicht geschah ja doch noch ein Wunder. Vielleicht bekam Liebekind heute Nacht die Grippe, oder Theresa fand im letzten Moment einen Vorwand, ihm die Veranstaltung auszureden. Über dieser Hoffnung schlief ich ein.
Am Samstagmorgen weckte mich die Sonne kurz nach acht. Mein erster Griff ging zum Handy. Aber es meldete keine entgangenen Alarmrufe, keine SMS. In der Welt herrschte noch Frieden. Beruhigt drehte ich mich zur Wand und schlief wieder ein.
Erst gegen neun zwang ich mich aus dem Bett, holte frische Brötchen, kochte Kaffee, leistete mir ein ausgiebiges Frühstück und blätterte die Zeitung durch. Die Übernahme der SETAC war die Meldung des Tages. Fast einhundert Arbeitsplätze waren in akuter Gefahr, für eine Stadt von der Größe Heidelbergs keine kleine Sache. Die bewegte Geschichte des Unternehmens, seine lange Tradition und die zunehmend schwierigeren letzten Jahre wurden beschrieben. Als der Kaffee leer und die Zeitung wieder zusammengefaltet war, wollte mir auch beim besten Willen keine Ausrede mehr einfallen. So zog ich meine Sportsachen an.
Über Nacht war es Frühling geworden. Frau Brenneisen winkte aus ihrem Kiosk. Auf den Gehwegen probierten bunt gekleidete Kinder ihre fahrbaren Weihnachtsgeschenke aus. Schon als ich die Rohrbacher Straße überquerte, kam ich ins Schwitzen. Am
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