Heidelberger Lügen
am Leben sein. Aber seine Chancen sanken von Minute zu Minute.
Als das Haus endlich in sich zusammensank, gab ich das Kommando zu löschen. In dieser brummenden und krachenden Hölle war mit Sicherheit nicht einmal mehr eine Ratte am Leben.
Das Haus brannte noch fast eine Dreiviertelstunde lang. Um fünf nach eins meldete der Kommandant »Feuer aus« und teilte die Brandwachen ein.
Vangelis grinste mich traurig an. »Das war’s dann wohl. Sie brauchen mich ja nun nicht mehr, oder? Ich muss ins Bett.«
Ich ließ sie gehen. Vor dem Wagen standen schon wieder Journalisten mit Kameras, und ich konnte nicht vermeiden, eine kurze Erklärung abzugeben. Die Medienleute führten sich auf, als wäre ich der Star des Tages. Weiß der Teufel, wie sie so schnell hergefunden hatten.
Ins Haus hinein konnte vorläufig niemand. Es bestand akute Einsturzgefahr, die Temperatur dort drin würde auch nach Stunden noch mehrere hundert Grad betragen. Aber das war nun kein Problem mehr. Jetzt hatten wir Zeit. Die Geisel hatte überlebt, das war die Hauptsache. Und das Problem Vitus Hörrle hatte sich von alleine gelöst. Ich war nicht wirklich zufrieden, aber doch beruhigt.
Später rief Liebekind an, um mich zum spektakulären, aber letztlich glücklichen Ausgang des Dramas zu beglückwünschen. Theresa rief an, um zu hören, ob ich verletzt sei. Meine Töchter riefen an, um mir aufgeregt mitzuteilen, sie hätten mich im Fernsehen gesehen.
Ich sprach noch ein paar Worte mit diesem und jenem, verabschiedete mich von dem SEK-Leiter, der sich gebärdete, als hätte er einen Krieg gewonnen. Nach und nach rückten die Löschfahrzeuge und Streifenwagen ab, die Journaille war inzwischen auch wieder verschwunden, weil die qualmende Ruine eines alten Hauses auf die Dauer doch ein wenig langweilig wurde, und mit weiteren Leichen nicht zu rechnen war. Alle, die nicht bleiben mussten, fuhren nach Hause. Es herrschte so etwas wie eine verkaterte Volksfeststimmung. Man lachte leise, aber man lachte wieder. Wir schlugen uns auf die Schultern und rissen müde Witze.
Als ich in den Peugeot stieg, war es fast drei Uhr. Ich freute mich auf ein letztes Glas Rotwein zu ruhiger Musik und ein warmes, weiches, gemütliches Bett ohne Wecker daneben.
21
In dieser Nacht schlief ich endlich einmal wieder tief und traumlos. Am Sonntagmorgen war ich viel zu früh wach und beschloss noch im Liegen, meinem inneren Schweinehund Beine zu machen.
Die Luft war kalt, über dem Königstuhl ging gerade die Sonne auf, und ich trabte durch die noch menschenleeren Straßen in Richtung Westen. Auf die Quälerei den Gaisberg hinauf hatte ich heute keine Lust.
Bald wurden meine Füße und Hände warm, mein Atem ging ruhig, und ich fühlte mich gut. Ich gehöre nicht zu den Menschen, deren Organismus beim Laufen Endorphine freisetzt, das Runner’s High ist mir gänzlich unbekannt, und das einzig euphorisierende an dieser sportlichen Betätigung ist für mich der Kaffee hinterher. Aber heute ging es von Schritt zu Schritt besser. Wenn ich nicht doch ein wenig außer Atem gewesen wäre, ich hätte ein Liedchen gepfiffen.
Wieder einmal war ein Fall gelöst. Die Presse würde noch ein wenig herummäkeln, weil wir Hörrles Selbstmord nicht verhindert hatten. Aber außer ihm war niemand zu Schaden gekommen, und im Grunde würden sie uns dankbar sein. Wann bekamen sie sonst so spektakuläre Bilder vor die Linsen? Nicht einmal die benachbarten Gebäude hatten gelitten. Es hätte wahrhaftig schlimmer kommen können. Sehr viel schlimmer. Anne Hörrle musste zum genau richtigen Zeitpunkt gestolpert sein, sodass der Schuss sie verfehlte. Geistesgegenwärtig war sie liegen geblieben. Nicht übel für eine alte, zu Tode erschrockene Dame.
Ich überquerte die Eisenbahn, bald blieben die Häuser zurück, und es breiteten sich Wiesen und Felder vor mir aus. In einem Gebäude des Flugplatzes war trotz der frühen Stunde schon Licht, im Osten stieg die Sonne allmählich höher. Als ich den Pfaffengrunder Sportplatz erreichte, machte ich kehrt. Der Rückweg war mühsamer, da ich jetzt den nicht starken, aber doch unangenehmen Ostwind im Gesicht hatte. Irgendwo krähten zwei Hähne um die Wette. Es roch nach schwerer, fruchtbarer Erde und vermodernden Pflanzenresten auf den Äckern.
Dieser Unbekannte fiel mir wieder ein, der einen silberfarbenen Lancia fuhr und vielleicht Biermann hieß. Eine Menge sprach dafür, dass er der Mann war, der Kriegel in den Tod gehetzt und auch McFerrin auf
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