Heidelberger Requiem
oder? Wenn ick ’n Knöllchen bezahlen soll, okay, zahl ick dett eben. Morgen früh hab ick ’n Hauptseminar in altägyptischer Mythologie, und dett is verdammt wichtig, da brauch ick ’n Schein! Und ihr werdet doch ’n anständigen Bürger und Student nicht in seiner Berufsausbildung und Persönlichkeitsentfaltung behindern wollen? Wollt ihr doch nicht, oder?«
»Wenn Sie nicht in Eppelheim wohnen, wo schlafen Sie denn dann?«, fragte Vangelis sachlich. »In Ihrer Wohnung sind Sie in den letzten sechs Wochen nicht gewesen.«
»Wat is’n dett bloß für ’ne Geschichte mit dieser Scheißwohnung? Woher soll ick denn jetzt auf einmal ’ne Wohnung haben? Seit zwölf Jahren wohn ick nu schon in der WG in der Semmelsgasse und …«
Ich bremste Balke, der schon aufspringen wollte, mit einem Blick. »Versuchen wir es andersherum. Erzählen Sie doch einfach mal«, sagte ich. »Wovon leben Sie? Woher haben Sie das Geld für Ihr Studium? Was haben Sie getrieben, die letzten Jahre? Woher stammen die fast dreihundert Euro, die wir in Ihren Taschen gefunden haben?«
»Ja also …« Er musste eine Weile nachdenken, um den richtigen Anfang zu finden. Dann begann er mühsam, und immer wieder in seiner Erinnerung nach den richtigen Teilen suchend, seine Geschichte zu erzählen. Geboren war er in Chemnitz, seine Jugend hatte er aber in Ostberlin verbracht. Bereits zu DDR-Zeiten hatte er ein Studium begonnen und nach der Wende sein Glück im Westen versucht. Irgendwie hatte er dann jedoch den Absprung von der Uni verpasst, war in Heidelberg hängen geblieben. Eine Oma in Hamburg hatte ihm ein wenig Geld vererbt. Den Namen Grotheer hatte er noch nie im Leben gehört.
Ich beschloss, ihn härter anzupacken. Wir nahmen ihn ins Kreuzverhör. Aber auch nach einer halben Stunde wollte er weder von einer Wohnung in Eppelheim noch von einem Hausmeisterjob in einer Klinik oder von einem Konto bei der Volksbank etwas wissen.
»Ick bin bei der Sparkasse, Mann! Warum glaubt ihr dett denn nicht? Sparkasse, versteht ihr? Sparkasse! Sparkasse!«
»Herr Simon, stehen Sie doch bitte mal auf und gehen Sie ein paar Schritte hin und her«, sagte Vangelis sanft.
Er glotzte uns der Reihe nach verständnislos an und gehorchte. Sein Gang war schlurfend, aber gleichmäßig.
Vangelis zückte ihr Handy und ging hinaus. Ich gönnte Simon einen zweiten Kaffee und uns eine Viertelstunde Pause.
Pünktlich nach Ablauf der Zeit kam Vangelis wieder, begleitet von einer Krankenschwester, die ich im Klinikum schon gesehen hatte. Eine aufgeregte, winzig kleine Asiatin mit pickeligem Gesicht. Mit angstweiten Augen betrachtete sie Simon und schüttelte dann empört den Kopf.
»Oh no, no«, stieß sie hervor. »Wrong man! Falsche Mann! This not Mista Simon!«
Vangelis brachte sie hinaus.
»Herr Simon«, begann ich wieder, nachdem ich mich gesammelt hatte. »Haben Sie vielleicht mal Ihren Ausweis verliehen? Nur so, ohne sich was dabei zu denken, natürlich? Gegen ein kleines Taschengeld vielleicht? An einen Kumpel, um ihm einen Gefallen zu tun?«
Wieder und wieder schüttelte er den Kopf, dass das graue Schwänzchen im Nacken nur so flog. »Dett is doch verboten, Mann! Ihr wollt mir hier wat anhängen! Dett merk ick doch! Aber nich mit mir! Nicht mit Georg Simon!«
»Niemand will Ihnen irgendwas anhängen«, widersprach ich kraftlos. »Wir suchen nur den Kerl, der Ihren Ausweis ausgeliehen hat. Von Ihnen wollen wir nichts.«
Sein Kopfschütteln wurde noch heftiger. »Nein! Nie! So wat mach ick nich! Nie illegale Sachen, nie!«
Ich brauchte noch eine knappe Viertelstunde, dann erinnerte er sich plötzlich. »Mal, um Weihnachten rum, okay, da …«, murmelte er mit kläglichem Blick.
»Was war da?«
»Da … da ist er mal weg gewesen.«
»Ihr Ausweis?«
»Wir hatten uns einen geknallt, und am nächsten Morgen, da war das Teil weg. Sonst ist alles noch da gewesen. Nur der Ausweis, der war weg. Hab mir erst nüscht jedacht dabei. Man verlegt ja mal was. Und dann, zwei Wochen später, watt soll ick sagen …«
»Da haben Sie ihn auf einmal wieder gefunden.«
»In der Manteltasche. Aber ick bin sicher, dass der da vorher nicht drin war. Hab doch alles auf’n Kopf gestellt.«
»Mit wem zusammen haben Sie denn damals getrunken?«
Traurig hob er die Schultern. »Eine große Party. Eine von der WG hat Examen gemacht, die Wiebke. Tausend Leute, mindestens.«
»Und mit wem waren Sie zusammen, bevor der Ausweis plötzlich wieder da war?«
»Keinen
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