Heidelberger Requiem
nicht mehr lebt, das wussten wir doch schon«, meinte Balke, der offenbar noch nichts begriffen hatte. »Dass sie so bald nach der Tochter gestorben ist, okay, das natürlich nicht, aber …« Endlich fiel auch bei ihm der Groschen. »Das ist nicht wahr, oder? Das darf doch nicht wahr sein!«
Ich hielt schon wieder den Hörer in der Hand und verfluchte meine bockige Sekretärin, die mich immer noch hängen ließ. Während ich mich von einem Amt ans nächste weiterreichen ließ, hatte Klara Vangelis das Handy am Ohr und telefonierte ebenfalls. Die Verwaltung des Bergfriedhofs konnte mir endlich Auskunft geben.
»Sabine Krahl ist am achtundzwanzigsten September gestorben. Eineinhalb Wochen nach der Tochter.«
»Ich glaub, ich muss kotzen«, stöhnte Balke.
Vangelis klappte ihr Handy zu. »Laut Autopsiebericht war die Todesursache eine Überdosis Schlaftabletten. Sie war offenbar schon vorher depressiv. Seit Jahren in Therapie. Es war nicht ihr erster Suizidversuch.«
Am meisten ärgerte mich, dass sie nicht einmal versuchte, ihren Triumph auszukosten.
»Muss ja nicht unbedingt was zu bedeuten haben«, sagte ich. »Das muss ja nicht heißen, dass Krahl deshalb die ganze Familie abschlachtet.«
»Krahls Sohn ist verblutet, Grotheers Sohn auch. Krahls Tochter ist bei einem Verkehrsunfall gestorben, Grotheers Tochter ebenfalls«, sagte Balke mit schmalen Augen.
»Und er wird dem Professor auch am Tod seiner Frau die Schuld geben«, sagte Vangelis leise, aber bestimmt. »Und ganz und gar Unrecht hat er nicht damit, oder was denken Sie?«
»Die Frage ist nicht, was wir denken, sondern, was Krahl denkt«, fuhr ich sie an. Sie musterte mich erstaunt.
»Wir müssen die Frau unter Personenschutz stellen.« Balke kratzte sich aufgeregt an der unrasierten Backe. »Wenn das mit den Zeiten kein Zufall ist, dann wäre sie in der Nacht von Sonntag auf Montag fällig. Heute ist Donnerstag. Wir haben noch ein paar Tage Ruhe. Ich schlage vor, wir fangen am Sonntagmorgen damit an.«
»Und wenn er sich nicht an die Zeiten hält?«, fragte ich.
Liebekind musterte mich wie einen plötzlich renitent gewordenen Musterschüler. »Sie wollen was?«, fragte er, jedes Wort betonend. »Wiederholen Sie das nochmal, bitte?«
»Frau Grotheer unter Personenschutz stellen. Am besten aus ihrem Haus wegschaffen. Irgendwohin, in ein Hotel, zu Verwandten. Nur weg aus diesem Haus.«
»Herr Gerlach«, sagte er sehr langsam. »Ich habe bisher eine Menge Vermutungen gehört. Kommen wir mal kurz zu den Indizien?«
»Ich habe keine. Noch keine. Mein erster wirklicher Beweis könnte eine tote Frau sein.«
Ernst wie noch nie sah er mir ins Gesicht. »Sie sind der Kripochef. Tun Sie, was Sie für richtig halten. Aber erwarten Sie bitte nicht, dass ich Ihr Händchen halte, wenn die Presse Sie dann zum Schafott schleppt.«
Er lehnte sich zurück, nahm eine seiner Zigarren aus einer Schublade, betrachtete sie sorgenvoll und schnupperte daran.
»Meine Besatzung reicht aber nicht aus, um eine ordentliche Bewachung zu organisieren. Ich brauche Unterstützung von der Schutzpolizei. Und wenn die nicht können, müssen wir Leute aus Mannheim anfordern!«
Sein Blick blieb kalt. »Den Schuh ziehe ich mir nicht an. Es sei denn, Sie schaffen mir ordentliche Beweise her.«
Wie oft hatte ich es verflucht, wegen jeder Kleinigkeit irgendwen um Erlaubnis fragen oder ein Formular ausfüllen zu müssen. Jetzt erst merkte ich, dass auch diese Medaille zwei Seiten hatte.
Zärtlich lächelnd drehte er die fast schwarze Zigarre zwischen den Fingern. »Das ist eine Romeo y Julietta aus Cuba. Eine der besten überhaupt«, erklärte er mir, als ich mich erhob. Wieder schnüffelte er daran. »Ein Märchen, kann ich Ihnen sagen. Eine Symphonie, ein Kunstwerk!«
»Aber Sie rauchen doch gar nicht.«
Traurig sah er auf. »Wissen Sie, Herr Gerlach. In den ersten achtzehn Jahren verbieten uns die Eltern alles, was ein bisschen Freude macht. Dann kommt die Ehefrau, und wenn man denkt, man hat sich endlich emanzipiert, dann fangen die Ärzte an.«
Schweren Herzens ordnete ich die Observation von Grotheers Haus an. Rund um die Uhr. Ich hatte Mitleid mit den betroffenen Kollegen, denn das bedeutete acht Stunden Langeweile im Wechsel mit acht Stunden Pause zuzeiten, zu denen man todsicher nicht müde war. Sie würden mich verfluchen für den Job.
Mit Sönnchen zusammen, die immerhin wieder mit mir sprach, ging ich die Liste meiner Leute durch. Ich beschloss, einen
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