Heidelberger Wut
halbes Jahr?«, fragte er mit verkniffenem Mund. »Dann spielt Beamtenbeleidigung ja jetzt keine große Rolle mehr.« Plötzlich grinste er mich an. »Sie sind ein Arschloch, Herr Gerlach. Zwei Jahre Knast ist mir das Vergnügen wert: Sie sind das größte Arschloch, das mir je über den Weg gelaufen ist.«
Er lehnte sich zurück, verschränkte fest die Arme vor der Brust und sah auf seine Knie in der hellgrauen, ungebügelten Schlabberhose.
»Wie heißt dieser Wein?«, fragte meine Sekretärin. »Das müsste ich natürlich schon wissen.«
Endlich war ein wenig Ruhe eingekehrt. Seligmann saß in U-Haft, das Labor arbeitete noch an der Untersuchung seines Handys und der Geldscheine.
»Ich weiß nur, es war ein Kerner, und er war aus der Gegend von Meersburg und hat göttlich geschmeckt. Und da dachte ich, wo doch Ihre Schwester da unten wohnt …«
»Ich werd sie nachher gleich mal anrufen. Das macht sie bestimmt. Meine Schwester ist nämlich ein großer Fan von Ihnen.«
»Ein Fan?«, fragte ich verblüfft. »Sie kennt mich doch überhaupt nicht.«
»Aber doch«, erwiderte die beste Sekretärin von allen mit strahlendem Lächeln. »Sie liest so gerne Krimis und ist immer ganz verrückt darauf, dass ich ihr von unseren neuesten Fällen erzähle.«
Sie sprang auf. »Es hat geklopft. Das wird die Lehrerin sein.«
Frau Hellhuber hatte darauf bestanden, zu mir ins Büro zu kommen, obwohl ich angeboten hatte, sie aufzusuchen.
»Aber das ist doch interessant für unsereinen«, hatte sie mir am Telefon erklärt. »Wann hat man schon einmal Gelegenheit, die Kriminalpolizei von innen zu sehen?«
Augenblicke später saß sie vor mir. Groß, hager, gerade. Zeige- und Mittelfinger ihrer knochigen Hand verrieten die Kettenraucherin. Ihr Blick war neugierig und freundlich. Sie unterrichtete am Hölderlin-Gymnasium Musik und Geschichte und roch nach preiswerter Seife.
Sönnchen brachte uns Kaffee. Die Lehrerin hatte einen Cappuccino gewünscht, ich einen doppelten Espresso. Seit wir im Vorzimmer diesen Kaffeecomputer stehen hatten, konnten wir jedem Café der Stadt Konkurrenz machen.
»Unser Direktor sagte mir, Sie wollten mit jemandem sprechen, der Xaver noch aus seiner aktiven Zeit kennt. Nun – hier bin ich also.« Sie strahlte mich an. Um ihre Augen bildeten sich Fältchen, die verrieten, dass Frau Hellhuber gerne lachte.
»Im Grunde hat sich das Thema schon erledigt. Wir haben ihn nämlich heute Vormittag festgenommen.« Ich nahm einen Kuli in die Hand und einen Block auf die Knie. »Aber trotzdem, erzählen Sie mir doch einfach ein bisschen von ihm. Ich werde nicht so recht schlau aus dem Mann. Was ist er für ein Mensch? Wie war er als Lehrer? War er beliebt?«
»Bei den Schülern oder bei den Kollegen?« Die Lehrerin lachte mit blitzenden Augen. »Das ist ja oft ein gravierender Unterschied.«
»Beides würde mich interessieren.«
Frau Hellhuber spielte mit ihren knochigen Fingern. »Sehen Sie, ich bilde mir ein, ein ganz gutes Gespür für Menschen zu haben. Aber an Xaver bin auch ich immer gescheitert. Ihn habe ich nicht verstanden. Er legte natürlich auch keinerlei Wert darauf, verstanden zu werden, sich mitzuteilen. Das hat ihm im Kollegium nicht nur Freunde gemacht. Die Schüler dagegen, die haben ihn geliebt.« Plötzlich war ihr Blick traurig. »Xaver war in der Lage, eine außer Rand und Band geratene Neunte innerhalb einer Minute stillzukriegen, ohne dass ein lautes Wort fiel. Man konnte einfach nicht anders, als ihm zuzuhören, wenn er sprach. Man hätte sich im anderen Fall … ja, schlecht gefühlt. Er kann eine solche Ruhe und Souveränität ausstrahlen – ich habe so etwas bei keinem anderen Menschen erlebt. Andererseits …« Sie verstummte.
»Andererseits?«
»Er kann auch ziemlich ungehalten werden, vorsichtig ausgedrückt. Ich erinnere mich da an zwei äußerst unschöne Vorfälle. Und früher, bevor ich ihn kannte, soll er sogar einmal versetzt worden sein, weil er einen Kollegen ohrfeigte.«
»Was waren das für unschöne Vorfälle?«
»Einmal, das weiß ich noch genau, hatten wir Notenkonferenz, und ein Kollege wollte einer Schülerin eine schlechtere Note geben, als sie nach Xavers Meinung verdiente. Sie wäre sitzen geblieben, und das fand er nicht in Ordnung. Der Kollege hat dann auch noch eine abfällige Bemerkung gemacht, und da ist Xaver völlig außer sich geraten. Er hat herumgebrüllt wie von Sinnen, und wir haben gefürchtet, er würde seinem Kontrahenten an die Kehle
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