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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
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eingefallen?«
    Seligmann sah mir in die Augen. Er wirkte jetzt sehr müde. »Was soll das? Was soll das werden? Wollen Sie mich jetzt allen Ernstes zum Vergewaltiger machen?«
    »Ich versuche nur herauszufinden, was Sie sind.«
    »Mal ehrlich, trauen Sie mir so was zu?«
    »Sie glauben nicht, wie viele Menschen hier schon gesessen und Verbrechen gestanden haben, die ich ihnen nie und nimmer zugetraut hätte.«
    Ich lehnte mich in meinem leise quietschenden Ledersessel zurück, die Zeigefinger an den Lippen, und schwieg. Er starrte mich an, mit seinem Hundeblick, und wartete. Dann wurde sein Blick unsicher. Schließlich schlug er die Augen nieder. Es war ein gefährliches, lauerndes Schweigen. Dann wiederholte ich meine Frage.
    »Jules Name ist Ihnen damals also sofort wieder eingefallen?«
    »Nein, erst nicht«, antwortete er zögernd. Er fühlte sich auf gefährlichem Eis, das war offensichtlich. »Es war ja dunkel. Erst als ich sie in den Wagen gelegt hab, da hab ich ihr Gesicht gesehen. Und da war mir auf einmal klar, wer das war.«
    »Wie genau hat Jule auf dem Gehweg gelegen?«
    Seligmann antwortete nicht.
    »Ich möchte, dass Sie mir die Szene möglichst genau beschreiben.«
    Er zögerte. Schluckte. Nahm sich nun doch eine Zigarette, steckte sie zwischen die Lippen, verzichtete dann aber mit einem unsicheren Blick in meine Richtung darauf, sie anzustecken.
    »Auf dem Rücken hat sie gelegen. Die Beine gespreizt. Die Arme waren seitlich ausgestreckt.«
    Jetzt war er mit seinen Gedanken weit weg in der Vergangenheit.
    »Die Beine waren gespreizt?«, fragte ich sanft. »Habe ich das richtig verstanden?«
    Er nickte fast unmerklich. Ich schob ihm meine Untertasse als Aschenbecher hinüber. Er verstand die Geste sofort, suchte und fand sein Feuerzeug. Das Anzünden machte ihm Schwierigkeiten. Flamme und Tabak wollten einfach nicht zusammenfinden. Endlich brannte der Glimmstängel, Seligmann nahm einige gierige Züge.
    »Ich habe gelesen, das Kleid war völlig zerrissen. Ihre Unterwäsche ist bis heute verschwunden.«
    Todtraurig sah er mich an. »Sie sind eine Drecksau, Herr Gerlach! Eine verdammte widerliche Drecksau mit einer völlig abseitigen Phantasie.«
    »Passen Sie auf, was Sie sagen.«
    »Warum?«, fuhr er mich mit plötzlich wiedergewonnener Energie an. »Wir sind doch allein, oder nicht? Oder haben Sie hier irgendwo ein Mikro versteckt? Sind das etwa Ihre neuen Methoden?«
    Ich wartete. Er rauchte hektisch.
    »Ja, verflucht, ihre Beine waren gespreizt«, sagte er endlich erschöpft. »Das ist es doch, was Sie hören wollen. Sie hat da gelegen wie …«
    Wieder schluckte er. Rauchte. Hustete.
    Ich versuchte meine Stimme ruhig zu halten. So zu tun, als ließe mich das alles ziemlich kalt. »Wie?«, fragte ich. »Wie lag sie da?«
    »Wie wenn sie sagen wollte: Nimm mich!«
    Im Vorzimmer hörte ich Sönnchen ein Liedchen summen. Durch das gekippte Fenster drang fröhliches Vogelgezwitscher herein.
    »Eine letzte Frage noch«, sagte ich leise. »Dann lasse ich Sie in Ruhe.«
    Ich ließ ihn noch ein wenig leiden, bevor ich fortfuhr.
    »Gehen Sie nachts eigentlich öfter mal auf die Straße? Nachts um zwei?«
    »Wieso?«, fragte er zurück. »Ist das nicht erlaubt?«
    Wütend zerquetschte er die gerade angerauchte Zigarette.
    »Meine Frage war nicht, ob es erlaubt ist. Ich will wissen, ob Sie das öfter machen.«
    Mit dem Ausdrücken der Zigarette hatte Seligmann eine Entscheidung getroffen. »Ich will meinen Anwalt sprechen«, presste er durch die Zähne, stopfte Zigaretten und Feuerzeug in die Hosentasche und erhob sich. »Die Nummer haben Sie ja.«
    Jules Vater wohnte heute nicht mehr an der noblen Panoramastraße, sondern in einer winzigen Anderthalb-Zimmer-Wohnung im dritten Stock eines heruntergekommenen Altbaus mitten in Neuenheim. Am Telefon war er sehr abweisend gewesen, und nur mit Mühe war es mir gelungen, ihn zu diesem Gespräch zu überreden. Zur Verstärkung hatte ich Klara Vangelis mitgenommen. Auf der kurzen Fahrt hatten wir geschwiegen. Dass das kommende Gespräch nicht angenehm sein würde, war klar. Doch dass es so schlimm werden würde, hatte ich nicht erwartet.
    »Meine Frau? Die ist weg«, bellte mich Andreas Ahrens an. Schon am Telefon war mir sein Hamburger Akzent aufgefallen, den er noch immer nicht ganz verloren hatte, obwohl er seit seinem elften Lebensjahr in Heidelberg lebte.
    »Ist sie einkaufen?«, fragte Vangelis mit einem Lächeln, das einen Baum freundlich gestimmt hätte.

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