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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
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Nicht so Jules Vater.
    »Kann sein.« Mürrisch winkte er uns herein. Sein Hemd stank nach einer Mischung aus zu viel billigem Deodorant und altem Schweiß. Der Atem roch nach Alkohol, und die Wände der ziemlich vermüllten Wohnung waren grau. Ein paar mit Reißzwecken hingepinnte Kunstdrucke zeigten, dass Ahrens zumindest früher noch versucht hatte, seine Behausung ein wenig freundlich zu gestalten.
    »Keine Ahnung, was die gerade treibt und mit wem. Die ist schon seit Jahren weg.«
    Er wies auf eine durchgesessene, mit grünem Velours bezogene Couch, auf der er offensichtlich die Nacht verbracht hatte, klappte seinen dürren Körper in den einzigen Sessel und musterte uns grimmig.
    »Am Telefon hieß es, es gäbe eine neue Spur? Jetzt, nach so vielen Jahren, kommen euch auf einmal die Ideen?«
    »Das klingt nicht, als wären Sie froh darüber.«
    »Froh?«, fragte er mit ungläubigem Blick aus trüben Augen. »Den ganzen Scheiß noch mal von vorn? Nee, danke.«
    »Ich kann mir vorstellen, dass das damals sehr schwer war für Sie und Ihre Frau«, sagte ich. »Und ich verstehe natürlich vollkommen, dass Sie wenig Lust haben, jetzt alles noch einmal aufzuwühlen. Aber auf der anderen Seite möchten Sie doch sicherlich auch, dass der Mann gefasst wird, der Ihrem Kind das angetan hat.«
    »Nee.« Er schüttelte den Kopf. »Wozu? Meine Renate hat’s richtig gemacht, die ist abgehauen. Ich selber saufe seit acht Jahren, und seit fünfen bin ich arbeitslos. Nee, danke, will nichts mehr wissen von dem ganzen Scheiß. Ich will bloß noch meine Ruhe. Bloß noch meine Ruhe.«
    Er legte das schweißglänzende Gesicht in seine mageren Hände und schwieg eine Weile. Eine schmale, ganz und gar schwarze Katze kam lautlos herein, schnupperte misstrauisch an meinen Hosenbeinen, bedachte Klara Vangelis mit einem verständnislosen Blick und verschwand wieder. Neben dem schmierigen Couchtisch, der aussah wie beim Sperrmüll erbeutet, entdeckte ich einen verfaulten Apfel auf einer vergilbten FAZ, deren Schlagzeile die Wiederwahl von George W. Bush verkündete.
    Ahrens nahm die Hände herunter. »Also, was wollen Sie von mir hören? Bringen wir’s in Gottes Namen hinter uns.«
    »Wie geht es Ihrer Tochter heute?«, fragte ich mit belegter Stimme. »Können Sie sich mit ihr unterhalten? Weiß sie, wo sie ist?«
    »Ich seh sie ja kaum. Ich halte das nicht aus. Meine Frau übrigens auch nicht. Obwohl, die ist am Ende besser fertig geworden mit dem ganzen Elend. Hat jetzt einen anderen, in Offenbach, glaub ich. Und, damit Sie zufrieden sind, nein, Jule erkennt niemanden. Und man kann sich nicht mit ihr unterhalten. Aber die Leute im Heim sagen, sie leidet nicht. Sie fühlt sich wohl, sagen sie. Was soll ich sie da besuchen? Sie vermisst nichts. Schon gar nicht mich.«
    »Sie haben sich Vorwürfe gemacht, damals.«
    »Vorwürfe?«, fragte er mit hysterischem Lachen. »Na, Sie machen mir Spaß! Vorwürfe!«
    »Man kann nicht ständig auf seine Kinder aufpassen. Ich bin überzeugt, Sie haben nichts falsch gemacht. Sie und Ihre Frau trifft keine Schuld.«
    »Reden Sie keinen Stuss. Sie haben keine Ahnung.«
    Klara Vangelis schwieg mit undurchschaubarer Miene und machte sich hin und wieder winzige Notizen in ihrem ledergebundenen Büchlein. Ich berichtete Ahrens von unserem neuen Verdacht.
    »Seligmann?«, fragte er ungläubig. »Ausgerechnet der? Komische Idee, findet ihr nicht?«
    »Wie hat er sich ihnen gegenüber verhalten? Später? Hat er versucht, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen?«
    »Nee. Ich weiß nur, dass er eine Weile ihr Lehrer war. Ich meine, sie hat auch ein, zwei Mal den Namen erwähnt. Das ist alles.«
    »Haben Sie oder Ihre Frau später versucht, mit ihm zu sprechen?«
    Andreas Ahrens wirkte plötzlich müde, am Ende seiner Kräfte. Schnaufend und mit hängenden Schultern saß er da und starrte auf seine Knie. Die fleckige Hose schien einmal Teil eines nicht billigen Anzugs gewesen zu sein. Ich hatte gelesen, dass er früher ein hohes Tier in der Verwaltung einer Mannheimer Pharmafabrik gewesen war. An der Panoramastraße, zumindest am nördlichen Teil, der seinen Namen zu Recht trägt, wohnen keine armen Leute.
    »Ja, wir haben’s versucht«, beantwortete er endlich meine Frage. »Aber er wollte ja nicht mit uns reden.«
    Die schwarze Katze kam wieder, ignorierte uns Eindringlinge hochmütig und kuschelte sich auf den Schoß des Hausherrn. Endlich wusste er mit seinen Händen etwas anzufangen. Sie begann sofort zu

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