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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
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versuchte ich, ein wenig zu lesen. Aber wieder einmal konnte ich mich nicht konzentrieren.
    Seligmanns Geschichte ging mir nicht aus dem Kopf. Ich hatte es ja bis zum Schluss nicht wirklich glauben wollen oder können. Nun hatte ich den Beweis und darüber hinaus sein Geständnis. Und Theresa hatte Recht gehabt mit ihrer Vermutung: Ich glaubte es noch immer nicht. Natürlich tun Menschen manchmal unvorstellbare Dinge, die uns im täglichen Umgang völlig normal vorkommen. Aber irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas war grundfalsch. Wenn ich nur darauf gekommen wäre, was. Andererseits ist der genetische Fingerabdruck eines der sichersten Beweismittel, die uns überhaupt zur Verfügung stehen.
    Um Viertel nach eins weckte mich das Telefon. Die Musik war aus, das Wasserglas leer.
    »Wo bleibst du denn?«, nörgelte Louise. »Alle sind längst weg! Wir sind die Letzten!«
    Ich bat sie, auf meine Kosten ein Taxi zu nehmen, und schon eine Viertelstunde später waren sie da und meckerten mehr aus Prinzip noch ein wenig herum. Es gelang ihnen nur schlecht, ihre gute Laune zu verbergen. Offenbar war es eine gelungene Party gewesen.
    »Bevor wir gekommen sind, war ja gar nichts los«, strahlte Louise.
    »Aber dann ist echt der Bär abgegangen!«, stimmte Sarah mit leuchtenden Augen ein.
    Da ich selbst nichts getrunken hatte, merkte ich natürlich, dass sie nach Alkohol rochen. Aber was sollte ich mich aufregen? In drei Monaten wurden sie fünfzehn. Nahmen andere in diesem Alter nicht längst Drogen?
    Im letzten Moment fiel mir Monika Eichners Zettel ein.
    »Das hier ist die Adresse vom nettesten Zahnarzt der Welt«, erklärte ich Sarah in unmissverständlichem Ton. »Und ich erwarte, dass du mir morgen Abend erzählst, dass es überhaupt nicht wehgetan hat!«
     
    Auch am nächsten Morgen hielt meine friedvolle Stimmung noch ein wenig an. Mit einem Lächeln im Gesicht und einem fröhlichen Gruß auf den Lippen betrat ich um halb neun mein Vorzimmer.
    Die Miene meiner Sekretärin verriet mir auf den ersten Blick, dass es schon vorbei war mit der Gemütlichkeit.
    »Er hat versucht, sich umzubringen«, flüsterte sie.
    Ich sank auf einen Stuhl. »Wie zum Teufel konnte das passieren? Sie nehmen den Leuten in U-Haft doch alles ab.«
    »Tabletten«, erwiderte Sönnchen bedrückt. »Er braucht Tabletten fürs Herz. Die hat er in den letzten Tagen anscheinend nicht genommen, sondern gesammelt und irgendwo versteckt. Und dann, letzte Nacht …«
    »Er lebt aber noch?«
    »Zum Glück hat es jemand beim Kontrollgang gemerkt. Und die Dosis war auch viel zu niedrig. Sie haben ihm den Magen ausgepumpt. Und jetzt liegt er natürlich erst mal im Krankenhaus zur Beobachtung. Aber es besteht keine Gefahr, heißt es.«
    Unsere chromfunkelnde Kaffeemaschine begann eifrig zu brummen und zischen.
    »Liebekind hat auch schon nach Ihnen gefragt«, gestand mir Sönnchen, als sie die duftende Tasse vor mich hinstellte. »Sie sollen vor der Pressekonferenz kurz bei ihm reinschauen.«
    »Der hat Zeit.« Mit meiner Tasse in der Hand betrat ich mein Büro. »Erst will ich mir noch die restlichen Akten durchsehen.«
    Heute war ich nicht auf der Suche nach Beweisen gegen Seligmann, sondern nach Fakten, die sein Geständnis widerlegten. So sah ich zum dritten Mal die Liste der Spuren durch, die man damals in Jules Haaren, an ihrer Kleidung, ihrem Körper gefunden hatte. Sand, Erde, Ästchen, Bruchstücke von verwelktem Buchenlaub, Zigarettenasche der Marken West und – das hatte ich bisher tatsächlich übersehen – Roth-Händle, Seligmanns Marke.
    Immer noch sprach alles gegen ihn.
    Auch Rußspuren hatte der Gerichtsmediziner damals von ihrem geschundenen Körper präpariert, Ruß von verbranntem Buchenholz. Diese sandige, rötliche Erde und Buchen fand man in der Gegend um Heidelberg überall. Die Vergewaltigung konnte an tausend Orten stattgefunden haben. Mit Sicherheit jedoch nicht in Seligmanns Garten. Also musste er mit ihr irgendwo hingefahren sein. Ein Picknick am Waldrand vielleicht. Ich stellte mir vor, wie er mit dem Kind etwas aß, an einer ruhigen, abgelegenen Stelle, mit schöner Aussicht, Abendsonne, Vogelgezwitscher. Auch Jule hatte an dem Abend Alkohol getrunken, las ich. Wie lange hatten die zwei wohl da gesessen, auf ihrer Decke? Dieses ungleiche Paar: er, ein erfahrener, verheirateter Mann. Sie, zugleich neugierig und ängstlich. Willig, aufgeregt und scheu. Jungfrau war Jule noch gewesen, las ich.
    Es war ein milder Abend gewesen, fast

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