Heidelberger Wut
Ich könnte höchstens eine Streife vorbeischicken und die TÜV-Plaketten der Autos überprüfen lassen. Aber ich glaube kaum, dass das die Herrschaften beeindrucken würde.«
Ich legte auf, faltete die Hände im Genick und lehnte mich so weit zurück, wie es mein Chefsessel erlaubte.
»Ich lasse heute noch die Lebensläufe der Brauns mit denen von Bonnie and Clyde abgleichen.« Vangelis strahlte mich an, als fände sie mich auf einmal sympathisch. »Vielleicht finden wir dadurch irgendeine Verbindung.«
Um halb sechs klopfte es.
»Der Anwalt von Herrn Braun wäre jetzt da«, erklärte Sönnchen, als wäre dies die gute Nachricht des Tages.
Ein hochgewachsener und teuer gekleideter Mann etwa meines Alters trat ein. Miene und Haltung drückten Erfahrung und Selbstvertrauen aus.
»Mein Mandant wäre unter gewissen Umständen bereit, ein Geständnis abzulegen.« Bevor ich ihn dazu auffordern konnte, nahm er Platz. »Aber zuvor hätte ich gerne einige Dinge mit Ihnen geklärt.«
Ich stellte mich begriffsstutzig. »Was gibt’s denn da zu klären?«
»Inwieweit Sie uns gegebenenfalls entgegenkommen würden.«
»Entgegenkommen?«, fragte ich mit gespieltem Erstaunen. »Ich habe hier nichts zu entscheiden, wie Sie sicherlich wissen. Das ist allein Sache der Staatsanwaltschaft und später des Gerichts. Wir sammeln nur die Fakten zusammen. Unsere Aufgabe ist es, die Tatsachen zu klären. Wie sollte ich Ihnen da entgegenkommen können?«
»Herr Gerlach, Tatsachen! Ich bitte Sie, was für ein Wort!«
Mit säuerlicher Miene legte er ein Visitenkärtchen vor mich hin. Professor war er sogar.
»Herr Professor Breitenbach, bei mir gibt es keine Deals. Mein Job ist es, die Wahrheit herauszufinden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.«
»Die Wahrheit!« Er schüttelte den Kopf wie über einen köstlichen Witz.
Ich wartete und lächelte.
Er hüstelte.
»Wir wissen doch beide, dass es immer höchst unterschiedliche Versionen der Wahrheit gibt. Das ist doch das Erste, was Sie im Jurastudium lernen: Es gibt sie nicht, die Wahrheit. Sie ist ein Phantom, ein Hirngespinst. Haben Sie fünf Zeugen, so haben Sie fünf verschiedene Wahrheiten. Die Frage ist doch nur, welche ist die, die Sie zu den Akten nehmen?«
»Leider bin ich kein Jurist.« Ich lächelte immer noch. »Ich bin nur ein einfacher Polizist, und die Rechtsphilosophie gehört nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Wenn Ihr Mandant mit uns zusammenarbeitet und ein vollständiges Geständnis ablegt, dann wird das Gericht das sicherlich würdigen. Mehr kann ich Ihnen nicht anbieten.«
Professor Breitenbachs gepflegte Finger spielten am Griff seines edlen Aktenköfferchens. Ich wartete auf den Moment, an dem Balke gesagt hätte: Jetzt lässt er die Hosen runter.
Mein Gegenüber hüstelte unglücklich. Und dann kam er endlich zur Sache.
»Wir erwarten schon ein gewisses Entgegenkommen dafür, dass mein Mandant sich kooperativ zeigt. Natürlich sind Sie hier …«, das »nur« verschluckte er, »… die Ermittlungsbehörde. Aber von Ihren Protokollen wird im weiteren Verlauf des Verfahrens vieles abhängen. Und was einmal in den Akten steht, das wird durch nichts mehr aus der Welt zu schaffen sein.«
Wen hatte der Kerl hier erwartet? Waren solche »Deals« unter meinem Vorgänger üblich gewesen? Sollten sie bei anderen Dienststellen üblich sein? Ich lehnte mich zurück und faltete die Hände auf meinem Bauch.
»Vor einem halben Jahr hatte ich hier einen Mann zum Verhör«, erzählte ich im Plauderton. »Auf dem Stuhl, auf dem Sie jetzt sitzen. Er war seit vier Jahren arbeitslos. Nicht, weil er nichts gelernt hatte. Nicht, weil er faul war, sondern weil er das Pech hatte, krank zu werden, und sein Arbeitgeber nicht warten wollte, bis er wieder gesund wurde. Der Mann ist fünfundvierzig und Witwer. Er hat drei Kinder, von denen er nicht mehr weiß, wie er sie ernähren soll. Er musste sein Haus verkaufen, das er mit eigenen Händen gebaut hat.«
»Ist es angezeigt, dass ich weine?«, fragte Breitenbach liebenswürdig. »Oder genügt es, wenn ich Betroffenheit zeige?«
»Es ist angezeigt, dass wir aufhören mit den Spielchen.« Ich beugte mich vor und fixierte ihn. »Ihr Mandant hat alles, was man zum Leben braucht, und zwar ziemlich reichlich davon. Der andere, der hat in seiner Not einen Kiosk überfallen und achtundsiebzig Euro erbeutet. Mitte Dezember. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, was er gemacht hat mit dem vielen Geld.«
»Ist ja nicht
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