Heidenmauer
gemütlichen Sesseln. Dem Leder war das Alter anzusehen. An der rechten Lehne trat ein großflächiger heller Bereich aus dem sonst dunklen Material heraus. Conrad Schielin deutete auf die Couch. »Er mochte Leder, braunes Leder, sieht aus wie die Tasche, die wir gefunden haben.«
Lydia Nabers Blick hing an einem Tontopf, der auf dem großflächigen Beistelltisch neben dem Sofa stand. Ein opulenter Strauß Dahlien quoll aus dem blauen Gefäß. Einige Blütenblätter waren abgefallen und reihten sich kreisförmig um die improvisierte Vase.
Sie wies mit der Hand in den Raum. »Das macht einen sehr angenehmen Eindruck hier, wohnlich, gemütlich – und das Chaos von da drüben im Arbeitsbereich greift gar nicht in den anderen Raum über, sondern bleibt, wo es ist. Es muss ein sehr disziplinierter Mensch gewesen sein.«
Schielin war gerade damit beschäftigt, das Computerkästchen abzusteckern, als sie vom Gang her ein Geräusch hörten. Schlüssel klapperten, und dumpf hallend drang das Knirschen bis ins Wohnzimmer, als der Schlüssel die Bolzen des Schließzylinders reihte und der Zylinder sich drehte.
Schielin machte einen Schritt auf die Fensterfront zu, um nicht sofort vom Gang aus gesehen zu werden, Lydia tat das Gleiche zu den Boxen hin. Beide hielten den Atem an. Wer hatte wohl noch einen Schlüssel für diese Wohnung?
Nachdem die Tür geöffnet worden war, folgten keine Schritte, sondern eine Frauenstimme erklang, tief und angenehm erwartungsvoll. »Günther!? Günther, bist du es, bist du da!?«
Schielin sah zu Lydia, und sie war es, die antwortete. Eine Frauenstimme erweckte mehr Vertrauen. »Nein. Günther Bamm ist nicht da.« Sie trat mit einem selbstsicheren Schritt in das Sichtfeld des Ganges und nickte der Unbekannten zu. Eine Frau um die vierzig, lockige dunkle Haare bis zu den Schultern. Sie trug Jeans, eine helle Bluse und hatte eine Strickweste um die Schulter geworfen.
Sie blieb in der Tür stehen und fragte: »Wer sind Sie?« Ihrem Gesicht und der Stimme war nun der Schreck anzumerken, in der Wohnung auf Fremde getroffen zu sein.
Lydia Naber tat einen weiteren Schritt in den Gang und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, näher zu kommen. »Mein Name ist Lydia Naber, und ich bin von der Lindauer Kriminalpolizei. Erschrecken Sie bitte nicht, mein Kollege ist noch dabei. Haben Sie das Siegel draußen an der Tür nicht gesehen?«
»Doch, doch. Aber es hing ja weg, und ich meine, wozu das Siegel, was ist denn passiert, ich meine, ist mit Günther etwas passiert?« Sie hatte die Tür geschlossen und war in den Wohnraum gekommen. Lydia Naber beobachtete jede ihrer Bewegungen. Sie ging zwar vorsichtig und der unerwarteten Situation angemessen; doch trotz dieser Unsicherheit war der Art, wie sie sich bewegte, anzusehen, wie sehr vertraut sie mit dieser Umgebung war. Es war die Art, wie sie in den Raum trat, und ohne groß schauen zu müssen, zur Seite hin den Lichtschalter betätigte, um das Deckenlicht zu löschen, das trotz der Helligkeit brannte. Eine Bewegung voller Selbstverständlichkeit.
»Und wer sind Sie?«, fragte Lydia Naber.
Es war, als müsste sie überlegen, zwischen den Worten holte sie hörbar Atem. Man sah ihr an, wie ihr Herz schlug. »Ahm … ich bin Hedwig Kohler, ich … wir wohnen unten, ich bin eine Nachbarin und kümmere mich ein wenig um die Wohnung, wenn Herr Bamm unterwegs ist … er ist viel unterwegs.«
Schielin dachte daran, wie leicht es doch gewesen war, der Mutter zu sagen, was passiert war, die für das Geschehene keine Empfindung mehr zeigen konnte. Hier lag die Sache nun anders. Auch sein Herz schlug ein wenig schneller.
Lydia Naber sagte: »Herr Bamm ist am Sonntagabend getötet worden.«
Hedwig Kohler nickte mit offen stehendem Mund und ungläubigen Augen. Sie drehte den Kopf zur Seite und sah Lydia Naber aus den Augenwinkeln an.
Schielin fragte: »Sie haben noch nichts davon gehört, von den anderen Nachbarn?«
Sie schluckte. »Nein. Wir waren übers Wochenende bei Verwandten meines Mannes, auf der Alb, bei Geislingen. Ein Geburtstag. Wir sind erst gestern Abend wieder nach Hause gekommen. Und die anderen Nachbarn, das ist ein altes Ehepaar, sehr alt. Die wissen das nicht, die bekommen da nichts mehr mit.«
»Setzen wir uns doch«, sagte Schielin.
Sie folgte und saß in stiller Verwirrung auf dem Ledersofa und starrte an Schielin vorbei in das helle Licht eines Herbsttages, der ihr nichts Gutes gebracht hatte. Lydia Naber holte ein Glas Wasser aus der
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