Heidenmauer
Schreibmaschinen, Farbbänder und die Ausgaben der Gewerkschaftszeitungen Der Kriminalist – einfach alles war verschwunden. Gegenüber Erich Gommerts altem Schreibtisch stand ein nagelneuer Kunststofftisch mit dazugehörigem Rollwagen. In der Mitte prangte ein neuer, großer Flachbildschirm, Notizblöcke lagen an der Seite und in einer Enderlin-Stiftablage sammelten sich Kugelschreiber, Bleistifte und wasserfeste Marker.
»Kommet, denn es ist alles bereit«, giftete Adolf Wenzel. Und in der Tat – Jasmin Gangbacher konnte kommen.
Robert Funk wendete sich kopfschüttelnd ab, ließ ein »du Lump, du alter«, hören. Und zog sich hämisch grinsend in sein Artefakt zurück. Erich Gommert sagte keinen Ton und betrachtete stolz sein Werk.
Schielin stellte zufrieden fest, wie sorgsam Gommert die Unterlagen auf seinem Schreibtisch drapiert hatte. Er nahm den gelben Post-it zur Hand, der auf dem oberen Blatt heftete, und wählte die Telefonnummer, die darauf angegeben war. Bereits nach dem ersten Klingeln vernahm er eine vorsichtig klingende Frauenstimme am anderen Ende. Kurz darauf machte er sich mit Robert Funk auf den Weg zum Hotel Bad Schachen. Lydia war schon auf dem Weg zur Obduktion.
*
In der Lobby des Hotels Bad Schachen herrschte reger Betrieb, wenngleich keinerlei hektisches Treiben oder Getue. Es mochte auch an den dunkelroten Teppichen liegen, die verhinderten, dass kurze schnelle Frauenschritte als Stakkato wahrzunehmen waren. Klavierspiel erfüllte die Halle; eine Aneinanderreihung belangloser Melodien, die über so viel Charakter verfügten, dass sie als angenehm wahrgenommen wurden. Gleichzeitig verfügten sie über so wenig künstlerische Potenz, dass Gespräche und Unterhaltungen, die halblaut über die alten Tische hinweg geführt wurden, nicht dadurch beeinträchtigt waren, dass die Gedanken der Gesprächspartner von den Tonfolgen entführt werden konnte.
Schielin und Funk waren schon erwartet worden und saßen in der hintersten Ecke der Lobby. Sie hatten sich bequeme Sessel ausgesucht, und den beiden gegenüber, auf dem Sofa, unter einem ausladenden Gemälde, einem Seestück, saß ein Ehepaar. Sie trug ein beigefarbenes Kostüm und eine hellblaue Bluse. Dazu eine schlichte Perlenkette. Er hatte weite, bequeme Cordhosen an, ein braunes, kariertes Hemd und ein dunkelgrünes Sakko. Schielin und Funk hatten den Kaffee, der ihnen angeboten worden war, nicht abgelehnt, und sie warteten mit ihren Fragen, bis man ihn serviert hatte.
Schielin beantwortete die Frage des Mannes, der sich als Leo Korsch vorgestellt hatte. »Ja. Bei dem Toten handelt es sich um den Journalisten Günther Bamm.«
Das Ehepaar sah sich ernst an. Sie schüttelte ungläubig den Kopf, so als wäre gerade etwas Ungehöriges geschehen, und sagte zu ihrem Mann: »Ich hatte von Anfang an kein gutes Gefühl, ich hatte kein gutes Gefühl dabei.«
Er winkte müde mit einer Hand ab und erklärte: »Wissen Sie, ich hatte am Sonntagabend einen Termin mit Herrn Bamm vereinbart. Wir wollten uns um halb zehn im Hotel Bayerischer Hof treffen, so war das eigentlich vorgesehen.«
»Ich nehme an, zu diesem Treffen ist es nicht gekommen«, sagte Schielin.
»Also ich war dort. Ich bin nach dem Abendessen, das wir hier noch zusammen eingenommen hatten, losgefahren, um pünktlich zu sein. Ich war sogar etwas früher zur Stelle und bin noch ein paar Schritte durch den Bahnhof gegangen. Ich liebe dieses Gebäude, wissen Sie. Kaum einer hat ja die Zeit, dieser gewaltigen Uhr und der Decke den verdienten Blick zu gönnen, oder den so wundervoll geschwungenen Eingangspforten. Seit ich als Kind mit dem Zug hier zu den Ferien angekommen bin, hängt mein Herz an diesem Bahnhof. Es hat sich aber viel verändert, doch eines nicht – der Geruch, oder besser gesagt, das Bukett. Jeder Ort hat seinen eigenen Geruch, und er behält ihn, das jedenfalls ist meine Meinung und das ist etwas sehr Schönes, wie ich finde, und über diese bestimmte Zusammensetzung eines Aromas werden in uns Erinnerungen geweckt, werden Situationen wieder wach«, er lächelte, hob den Kopf und sie sahen ihn riechen. Dabei führte der die Kaffeetasse an der Nase vorbei. »Ich habe mich sofort wieder in die Zeit damals zurückversetzt gefühlt …«
Seine Frau legte ihm ihre Hand auf den Unterarm. Er verstand die Geste richtig zu deuten. »Aber wie Sie schon feststellten … dieses Treffen hat nicht stattgefunden. Ich habe bis kurz nach zehn Uhr gewartet, habe dann noch einen kleinen
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