Heidenmauer
parallel zur Zwanzigerstraße auf der Mauer. Die Rosenbüsche reflektierten ein noch überwiegend tiefes Grün, und die wenigen braunen Blätter fielen nicht auf. An dem einen oder anderen Busch leuchtete eine letzte gelbe oder dunkelrote Blüte.
*
Lydia Naber wartete bereits vor dem Wohnhaus in Schönau auf ihn. Ein großzügiges Haus mit gepflegtem Garten und ausladenden Balkonen, die nach Süden, den Bergen zugewandt waren. Anhand der Klingelschilder war anzunehmen, dass alle vier Wohnungen belegt waren. Bamm hatte eine der oberen Wohnungen bewohnt.
Sie durchtrennte das Siegel und schloss die Tür auf. Die ersten beiden Räume links des Ganges waren türlos. Freundliches Licht strömte herein. Im Vorübergehen sah man zuerst ein leeres Zimmer, dann folgte die Küche und hinter einem offenen Durchgang breitete sich ein großer Wohnraum aus mit einer großflächigen Fensterfront nach Süden hin und einer breiten Tür, die auf den Balkon führte. Rechts in der Ecke versteckt war die Tür zum Schlafzimmer.
Der übergroße Raum diente Günther Bamm als Wohn- und Arbeitszimmer, wie an dem überladenen Schreibtisch in der Ecke sofort zu erkennen war.
Sieht aus wie in seinem Notizbuch, dachte Schielin beim ersten Blick über Regale und Schreibtisch, auf dem sich in mehreren erdgeschichtlichen Sphären Papiere, Magazine, Zeitungen, Schriftstücke türmten, dazwischen tummelten sich Stifte, Löffel, Andenken, Fotos, Telefonbücher, Briefbeschwerer und – kippelig auf dem gesamten Berg – eine schmale Computertastatur. Der Rechner selbst lag unter einem Haufen verborgen, ein kleines Kästchen, auf dem als Logo ein angebissener Apfel prangte. Im Regal hinter dem Schreibtisch entdeckte Lydia ein Notebook, klein, flach und silbrig glänzend, auch mit Apfelsymbol.
Sie schnaufte. »Brauchen wir gar nicht anfangen mit dem Zeug. Mit Apple kennen wir uns nicht aus, da brauchen wir die vom LKA.«
»Die kennen sich doch auch nicht aus«, grummelte Schielin und fächerte im Vorübergehen durch die Unterlagen, die in ungestümer Ordnung ausgebreitet lagen. Auf dem Boden, um den Schreibtisch, erhoben sich kunstvoll geschichtete Stapel, deren Grundlage großvolumige Kunstbände bildeten, dann folgten Zeitschriften und nach oben, zum Gipfel hin, kamen Zeitungsausschnitte und einzelne Notizblätter.
»Glaubst du, dass der sofort gewusst hatte, wo was lag, wenn er’s gebraucht hätte«, stellte Lydia fest und schaute skeptisch durch die Wohnung.
»Keine Frage«, sagte Schielin, »dieser Günther Bamm hatte seine Ordnung im Kopf.«
»Schaut aus wie im Atelier meines Liebsten«, meinte sie wie beiläufig, »allerdings weiß ich nicht so recht, was der so manchmal im Kopf hat, Ordnung ist es jedenfalls nicht.«
»Was macht der eigentlich gerade?«, fragte Schielin.
Sie verzog das Gesicht. »Miese Stimmung im Moment. Der Brunnen ist fertig und Gott sei Dank auch bezahlt, war ein warmer, wohltuender Regen. Aber die Aphrodite, an der er gerade herumgemeißelt hat, war nicht so ganz voller Liebe. Ihr rechter Busen ist abgeplatzt.« Sie schüttelte die rechte Hand, als hätte sie sich verbrannt. »Ich verhalt mich so, als gäb’s mich nicht. Von solchem Stress, da wird er immer krank, mein Liebster … na ja, mal sehen.«
Schielin schürzte die Lippen und wendete sich wieder der Arbeit zu.
Ihr Blick fiel auf die Boxen an der Wand gegenüber vom Arbeitsbereich. Dahinter im Regal formierte sich eine auffällige CD-Sammlung, und ganz anders als das Chaos auf und um den Schreibtisch, in perfekter Organisation. An den Regalböden waren die Genrebezeichnungen mit Etiketten und gedruckten, serifenlosen Buchstaben angebracht; einzelne Werke oder Interpreten waren sogar eigens mit einer Beschriftung bedacht worden, ganz so, als sollten sich auch Fremde sofort zurechtfinden. Lydia machte einige Schritte auf die Musikecke hin zu. Auf den Boxen las sie audiophysic, das hatte sie noch nie gehört. Jazz, Blues, Klassik, Rock – alles war vertreten. Außerdem füllten CDs unter der Regalbeschriftung Miles einen ganzen Boden. Alle Größen der Klassik waren vertreten und zusätzlich nach Dirigenten und Interpreten unterteilt – alles sehr akkurat.
An der Decke hing ein mehrstrahliger Halogenfluter. Lydia suchte den Lichtschalter und betätigte ihn, obschon sein Leuchten angesichts des Lichteinfalls vom Fenster her nicht einen Hauch an Wirkung erbrachte.
Vor der Fensterfront stand eine braune, lederne Sitzgarnitur. Dreisitzer mit zwei
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