Heidenmauer
Spaziergang durch den Hafen gemacht und bin dann wieder nach Hause, also hierher gefahren.«
»Hätten Sie Herrn Bamm denn erkannt?«, fragte Robert Funk.
»Ja. Ich denke schon. Es gab ja Fotos von ihm schon früher in Zeitungen, und ich habe ein, zwei Bücher von ihm gelesen, da war hinten auch sein Foto abgedruckt«, Leo Korsch unterbrach und dachte nach, denn die Frage des Polizisten hatte zumindest eine spekulative Variante möglich scheinen lassen. Dann bestätigte er nochmals, »Nein, nein – das wäre nicht passiert, dass wir einander verpasst hätten.«
»Worum sollte es bei Ihrem Treffen gehen?«
Leo Korsch atmete hörbar aus, es klang fast wie ein Seufzer, und etwas Aufregung schwang auch mit. »Das ist eine nicht so ganz einfache Geschichte. Herr Bamm hat sich vor etwa vier, fünf Wochen bei mir gemeldet. Er berichtete mir, dass er gerade an einem neuen Buch arbeite, in dem es um die wechselhaften Wege gehen sollte, die Gemälde so im Laufe ihrer Existenz hinter sich bringen oder durchmachen müssen, ganz wie man will. Dabei ging es nicht unbedingt um berühmte Kunst, vielmehr betrachtete er die Geschichte von Kunstwerken als Metapher, wie er es in dem kurzen Telefonat ausgedrückt hatte.«
Seine Frau unterbrach ihn. »Sie müssen wissen, mein Mann ist Kunsthändler, nicht mit einer Galerie, in welcher die Werke von Künstlern direkt den Kunden angeboten werden, sondern eher in der Funktion eines Vermittlers. Wir leben in London und haben dort unser Büro. Im Wesentlichen arbeiten wir für die großen Auktionshäuser, Sie wissen … Sotheby’s, Christie’s …«, sie sah mit einem kurzen Blick zu ihrem Mann, »er kümmert sich um die Kunst, und ich regele die finanziellen Dinge. Eine gute Kombination, wie ich finde.« Sie lächelte feinsinnig nach ihrem letzten Satz, lehnte sich zurück in das Polster und nahm wieder die Position der hellwachen Zuhörerin und Beobachterin ein.
Ihr Mann rutschte nun ein Stück nach vorne, dem Rand des Sofas zu, und gab so einen größeren Teil seines Körpergewichts über die Beine an die Füße ab. Das Thema, das er nun ansprach, bewegte ihn im wahrsten Sinne des Wortes, und die ausladenden Bewegungen seiner Arme, die manchmal den gesamten Körper mitrissen, hätten ihn dank der soliden Federung des Sofas doch sehr hin und her geschaukelt. Er war impulsiv und synchronisierte das, was er sagte, mit Händen, Armen und den Bewegungen seines Oberkörpers und Kopfes. Es war eine Wonne, ihm zuzusehen.
Den Satz, mit dem er darlegte, dass er als Kind und jüngster Spross seiner Familie als Einziger die Ferien bei einer alleinstehenden Tante in Lindau verbringen durfte, begleitete er wie ein Dirigent. Langsam schoben sich die Arme auseinander, beschrieben einen Halbkreis um seinen Kopf und trafen sich wieder als betende Hände vor seinem Hals, als das Wort Lindau fiel. Schon die Zugfahrt von Regensburg hierher an den Bodensee habe ihn für sein Leben beeindruckt, wie er sagte. Die Tante war früh verwitwet und verlebte gar nicht miesepetrig die Pension ihres Bahndirektorgattens in einer eindrucksvollen Wohnung auf der Insel. Selbst aus einer begüterten Familie stammend, handelte es sich um eine durchaus vermögende Frau, der es große Freude bereitete, die Familie an ihrem Glück und Wohlstand teilhaben zu lassen, wobei offenblieb, ob sich das Glück auf das frühe Ableben des Gatten bezog oder darauf, den Krieg überstanden zu haben.
Schielin fiel auf, dass Leo Korsch in seinem gesamten, die Tante beschreibenden Bericht kein einziges Mal das Wort reich verwendete, und es doch im Raum schwebte wie die Bilder dieser Tante, die in den Köpfen entstanden, wenn Leo Korsch mit den Händen beschrieb, wie stolz sie durch die Maximilianstraße gegangen war, in Begleitung des kleinen Bengels.
Schielin und Funk genossen die Erzählung ihres Gegenübers, begleitet vom Gemurmel und den Klängen des Klaviers, die den Raum des weitläufigen Saales füllten. Man konnte darüber die Welt um sich herum aus dem Blick verlieren, vergessen, dass es einen Toten gab, der gerade aufgeschnitten wurde, vergessen, dass es jemanden gab, der diesen Menschen mit einem Holzprügel erschlagen hatte und noch frei herumlief; vielleicht sogar hier ein paar Meter weiter in einem der edlen Sessel sitzen konnte, die Zeitung aufgeschlagen, eine Tasse Kaffee und Schokoladenkuchen vor sich auf dem Tisch.
Leo Korsch war beim Zimmer seiner Tante angekommen, beschrieb das Wohnzimmer so, wie es bei den
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