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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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Vectras zu und ging langsam den Plattenweg entlang. Der letzte Frost hatte einige Fugen gesprengt, wie er sah. Er achtete darauf, in unaufdringlicher Weise sein rechtes Bein etwas nachzuziehen, denn das war seinem Vorhaben ebenfalls zuträglich. Zu starkes Humpeln hingegen war kontraproduktiv, denn es produzierte Mitleid, und Mitleid war eine schlechte Voraussetzung für seinen Job, denn wie er wusste, lauerte hinter dem Mitleid die Respektlosigkeit. Er jammerte stumm und dachte, so sind sie, die Menschen, so sind sie eben. Aber eigentlich war es so, dass er so war.
    Er lächelte müde, und schon der erste Satz des Mannes stimmte ihn hoffnungsvoll, dass alles glatt gehen würde, denn der Mann wies kumpelhaft auf Rubacher rechtes Bein und fragte: »Die Hüfte?«
    Ludwig Rubacher winkte gekonnt ab und holte den Schlüssel heraus. Sie gingen in die Wohnung, die im Hochparterre lag. Er sperrte die Wohnungstür auf und ging langsam den Gang entlang. Regale verengten den Gang, dazu Kartons, Tüten, Kisten und Säcke mit alten Kleidern.
    Rubacher ging voran und wies mit einer ausladenden Handbewegung auf das Herumstehende und auf die Türen zu den abzweigenden Zimmern Er lamentierte. »Ohmei, ohmei, so ist es halt, des Leben, gell. Da sammelt sich schon das ein oder andere an. Und dann steht’s im Weg herum, niemand kann’s mehr brauchen, des wertlose Zeugs, das einem Menschen einmal so wertvoll gewesen ist, so ist’s halt, gell.«
    Keiner der beiden hinter ihm antwortete, und er ging weiter in die Küche. Dort standen ein Tisch und vier Stühle. Er meinte, es wäre gut, sich erst einmal zu setzen. Der Mann war ein williger Kerl. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich, froh, dass einer wie Rubacher sich um die Angelegenheiten kümmerte und er im Grunde genommen seine Ruhe hatte. Rubacher spürte, dass dem Kerl der innere Antrieb fehlte, dass es ein Zufriedener war, einer derjenigen, die mit einem Fläschchen Bier am Abend und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehmittelmaß zufriedenzustellen war. Keine Gefahr also. Das waren die Typen, die man einlullen konnte. Sollten sie tatsächlich aufmucken, waren sie auf einfache, brutale Weise zur Raison zu bringen, denn sie waren das Kuschen gewöhnt.
    Die Frau aber – die Frau hatte er nicht beeindrucken können. Nicht durch seinen Stil, nicht durch das leichte Hinken, nicht mit seinem Allerweltsgequatsche. Sie blieb stehen. Nicht unschlüssig, sondern um ihre Position zu wahren. Sie sagte: »Ich bin nicht der Meinung, dass ein Betreuer, oder wie auch immer sich das nennt, in unserem Fall erforderlich ist. Ich bin nicht damit einverstanden, dass sich ein wildfremder Mensch um die Angelegenheiten unserer Mutter kümmert, und ich werde das überprüfen lassen.«
    Ludwig Rubacher sah sie mit einem traurigen Hundeblick an. Er hatte lange vor dem Spiegel gestanden, um ihn einzustudieren. Seiner Art entsprechend, wäre er gerne anders mit solchen Leuten umgesprungen, doch das hätte das Geschäft gefährdet. Er hätte jetzt in diesem Falle auch erklären können, dass es gleichgültig war, ob eines der Kinder mit der Bestellung eines Betreuers einverstanden war oder nicht – die Entscheidung hatte ein Gericht getroffen und damit gab es auch nichts, was noch hätte überprüft werden müssen. Kein Amtsrichter würde sich länger als zwei Minuten damit abgeben – Aktenlage.
    Ludwig Rubacher sah den funkelnden Augen der Frau an, dass sie zäh und ihr mit Argumenten nicht beizukommen war. Da hätte er ewig diskutieren können, ohne dass einer der Parteien ein befriedigendes Ergebnis hätte erreichen können. Er behielt seine kurzen, dicken Arme über dem ausladenden Bauch, die Hände gefaltet, und sagte nach einem kurzen Ächzen: »Ach. Ja wer denn sonst soll sich um die Angelegenheiten Ihrer Mutter kümmern, wenn Sie schon keine Zeit dafür haben. Wann waren Sie denn das letzte Mal hier? Wissen Sie überhaupt, wie es hier zugegangen ist? Es ist nicht so, dass ich mich um die Angelegenheiten, die Versorgung Ihrer Mutter gerissen habe. Das Gericht hat mich angerufen, weil niemand anders erreichbar war. Niemand!«
    Die Frau musste schlucken.
    Er sah weg, sonst hätte der kleine Triumph ein böses Lächeln aus seiner buddhahaften Gesichtsmuskulatur geformt. Treffer.
    Er legte nach, mehr feststellend als anklagend. »Wissen Sie. Mit Telefonieren alleine ist es nicht getan.«
    Ihr Bruder sah verlegen zum Fenster hinaus.
    Sie hatte überraschend schnell ihre Fassung wieder. »Ich denke

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