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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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nicht, dass Sie beurteilen können, in welcher Weise wir uns um unsere Mutter gekümmert haben. Wir waren regelmäßig hier.«
    Ludwig Rubacher winkte beschwichtigend ab. »Das meine ich doch gar nicht. Nun war es aber so, dass eben niemand da war, als es darauf angekommen ist und Ihre Mutter ins Krankenhaus musste, und Sie konnten eben auch nicht kommen wegen anderer wichtiger Dinge. Das ist doch ganz normal, so ist heute das Leben. Aber es musste sich jemand kümmern, und deshalb hat das Gericht eben so entschieden, wie in vielen anderen Fällen auch.«
    Sie sah ihn misstrauisch an, warf dann einen Blick auf ihren Bruder, der still am Tisch saß. Sie verzichtete schließlich darauf, ihn aufzufordern, sich doch auch einmal zu äußern. Sie drehte sich um und verließ das Zimmer mit dem Hinweis, sich umschauen zu wollen. Ludwig Rubacher hockte zufrieden und schwer da, schnitt nachdenkliche Grimassen, die erkennen lassen sollten, dass er jemand war, der wusste, wies im Leben zuging – nicht einfach eben, und oft auch schwierig. Das hatte er auch vor dem Spiegel geübt. Sein Gegenüber war ein gutmütiger Trottel, mit dem er schon zurecht kommen würde.
    Ob sie es merken würde, dachte er, gerade, als sie auch schon wieder in der Küche stand – aschfahl und bebend. »Die Vase ist weg!«
    Ludwig Rubacher zog die Stirn kraus und hob den Kopf. Auf seinem kahlen Kopf glänzte matt das schale Licht. Sein Blick sagte: Wovon spricht diese Frau?
    Entgegen seiner Erwartung und Hoffnung wurde sie ganz ruhig, was ihm überhaupt nicht recht war. Sie hatte sich im Griff und sah ihn durchdringend an. »In der Vitrine im Wohnzimmer stand eine alte Vase, Meißener Porzellan, vierzig Zentimeter hoch, klassisches Zwiebelmuster, blau, echt, gekreuzte Schwerter. Alles andere in der Vitrine ist vorhanden, nur diese Vase fehlt.«
    Ludwig Rubacher sagte keinen Ton, als sie aufhörte zu reden. Ihr Bruder sah sie mit großen, unwissenden Augen an.
    »Es ist ein altes Familienerbstück«, fuhr sie fort, »meine Mutter hat sie mir versprochen, und jetzt steht sie nicht mehr da, wo sie stehen soll und wo sie in den letzten dreißig Jahren immer gestanden hat.«
    Ludwig Rubacher blieb äußerlich gelassen. »Haben Sie denn auch genau nachgesehen, ich meine im Wohnzimmer, oder vielleicht auch in den anderen Räumen?«
    Sie presste die Lippen aufeinander, drehte sich um und ging wortlos hinaus. Der edle Stoff ihres Hosenanzugs tanzte um ihren Körper. Er überlegte. Vielleicht konnte der Trottel ihm helfen. Rubacher wandte sich ihm in väterlicher Manier zu und sagte. »Gehen Sie doch auch nachschauen, ob vielleicht etwas fehlt, was Ihnen versprochen worden ist.«
    Große Augen sahen Rubacher an. »Mir ist nichts versprochen worden.«
    Rubacher jubilierte und fragte mit traurigem Blick: »Nichts? Ihnen ist nichts versprochen worden?« Dann drehte er sich wieder der Wand zu. Die Sache hier war deutlich unangenehmer, als er erwartet hatte, und die Rothaarige hatte er bei Weitem unterschätzt. Es würde nicht einfach werden diesmal. Er wartete.
    Sie kam zurück und wieder war sie es, die ihn überraschte. Sie war gefasst, keine Erregtheit war ihr anzumerken. Sie nahm einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, ohne einen Ton zu sagen.
    Ludwig Rubacher war die Stille unangenehm. Er fragte. »Und?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Er tat es ihr gleich. »Wissen Sie, als Ihre Mutter ins Krankenhaus kam, da waren hier sicher viele Leute in der Wohnung, und dann war ja jeden Tag die Sozialstation hier und Essen auf Rädern … schwierig, das ist manchmal schwierig, und so sind sie eben, die Menschen.«
    Sie sah ihn durchdringend an. Es waren grüne Augen, wie er erkennen konnte.
    Sie legte beide Arme auf die Tischplatte und beugte sich nach vorne, ihm ein Stück entgegen. »Sie haben den Wohnungsschlüssel bei der Sozialstation abgeholt, nicht wahr?«
    »Ja«, bestätigte er und vermied es, in diese grünen Augen zu sehen.
    »Telefonieren ist nicht alles, in der Tat, und ich konnte wirklich nicht sofort hierherkommen von Hamburg aus. Ich habe selbst Familie mit allem, was damit zusammenhängt, und es ist ja auch ein Stück Weg, nicht wahr. Ich habe in diesen Tagen viel mit meiner Mutter telefoniert, denn sie ist ja nicht verwirrt, sondern hat lediglich einen Oberschenkelhalsbruch, und für ihr Alter ist sie noch gut in Schuss.« Sie hob drohend den Zeigefinger und deutete auf Rubacher. »Zwei Tage, nachdem meine Mutter ins Krankenhaus gekommen

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