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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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sie nach Gruppen zusammen und heftete die Papiere in den jeweiligen Ordnern ab. Er saß aufrecht, und die überlegte Art der Bewegungen, die sein Kopf, seine Arme und Hände sichtbar machten, ließ deutlich werden, dass hier die Sorgfalt selbst zugange war. Es war ein schlichter Raum mit zwei bis unter die Decke reichenden Aktenregalen, einem ausgedienten Schreibtisch, der früher einmal in einer Behörde gealtert war, und einem Bürostuhl, dessen ehemals orange-grüner Sitzbezug ausgeblichen und zerschlissen war.
    Im Moment war Ludwig Rubacher mit dem Ordner Anwalt beschäftigt. Beim Abheften der Unterlagen überflog er nochmals die Angelegenheiten, die zur Ablage standen, und als er sich den Inhalt des Schreibens vergegenwärtigte, das obenauf lag, verzog sich sein Mund. Es sollte ein Lächeln werden, ergab aber nur eine zynische Fratze.
    Die Sätze des Anwalts formulierten die Forderung an ein Reiseunternehmen. Im Sommer war Rubacher für eine Woche in den Süden geflogen. Im Prospekt hatte gestanden, man würde mit einem Begrüßungscocktail in Empfang genommen – und genau diesen Begrüßungscocktail hatte man im Hotel vergessen.
    Ludwig Rubacher vergaß nie etwas, was ihm zugesagt worden war – schriftlich oder mündlich. Kaum zurück, beauftragte er seinen Anwalt mit der Angelegenheit.
    Diese Sache hatte nur wenig Papier produziert, bis er die Zahlung der Gesellschaft erhalten hatte. Insgesamt wurde der Ordner jedoch mit einem ganzen Packen Papier gefüllt. Einzig das Honorar des Anwalts ärgerte Ludwig Rubacher. Gesindel, dachte er, alles Gesindel. Leben vom Ärger und Unglück anderer Leute.
    Er saß wie immer in seinem dunklen Anzug am Schreibtisch, trug ein helles Hemd, Krawatte und schwarze Lederschuhe. Er war mit sich zufrieden, mit seinem untersetzten, fülligen Körper und der Glatze. Sein Erscheinungsbild gab ihm auf den ersten Blick etwas Gemütliches.
    Hier in dem kleinen Büro, welches er unter dem Dach eingerichtet hatte, hätte er auch im Schlafanzug oder nackt sitzen können – niemand konnte ihn sehen. Es war aber eine Sache der Haltung, der Einstellung – es war eine Sache des Prinzips, und niemals hätte er sich erlaubt, in Freizeitkleidung hier zu arbeiten. So wie er gekleidet war, sah er sich selbst. Ein Herr in dunklem Anzug, ein feiner Herr in dunklem Anzug.
    Er stand auf und begab sich die Treppe hinunter ins Badezimmer. Er musste sich umziehen, denn er hatte einen Termin. Auf der letzten Treppenstufe angekommen, holte er den Zettel mit der Anschrift aus der Innentasche des Jacketts. Der schwarze Anzug wurde gegen seine Arbeitskleidung getauscht, wie er sie nannte: braune Cordhose, graubraunes Baumwollhemd, dunkelbraune Lederschuhe und ein dunkelgrünes Wolljackett mit feinem Karomuster, eine Art Landhausstil für Leute, die in die Jahre gekommen waren, und so gar nicht seinen Vorstellungen und Vorlieben entsprechend. Aber seine Arbeit erlaubte keine Stilfragen, und die Kleidung hatte einen Zweck zu erfüllen. Im schwarzen Anzug würde den Leuten, mit denen er zu tun hatte, ein falscher Eindruck vermittelt. Die braunen Allerweltsklamotten ließen einen zuverlässigen, seriösen, nicht unbedingt reichen Menschen vermuten, der anständig seiner Arbeit nachging – das war der Job, den die Kleidung zu verrichten hatte.
    Er verließ das Haus und fuhr mit dem Vectra Kombi los. Den Mercedes konnte er jetzt auch nicht gebrauchen, wenn er auch besser für das Wohlbefinden seiner Lendenwirbel gewesen wäre. Aber was tut man nicht alles, was tut man nicht alles, ging es ihm durch den Kopf, als er das Stützkissen zurechtrückte.
    Voller Abscheu sah er um sich, während er dem Lauf der Kolpingstraße folgte. Er war ein Misanthrop und verabscheute diese Termine, denn für ihn waren sie eine Zumutung – er musste leutselig sein, mit den Menschen reden, auf sie eingehen, den einen oder anderen Spaß machen, bei der an sich traurigen Arbeit, die er zu verrichten hatte. Jedenfalls waren seine Gegenüber überwiegend traurig und verunsichert. Einige wenige waren auch aggressiv und uneinsichtig, und von denen war wiederum ein kleiner Teil gefährlich. Das waren die, die einen Streit nicht eskalieren ließen, sondern still wurden. So wie es bei diesem Journalisten gewesen war.
    Er parkte am Straßenrand und sah zum Hauseingang. Die beiden standen schon vor der Tür – Bruder und Schwester, beide Ende vierzig. Er war aus Berlin gekommen, die Schwester aus Hamburg.
    Ludwig Rubacher schmiss die Tür des

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