Heidenmauer
immer noch sauer wegen des Schrecks.
»Viel Arbeit, viel Arbeit. Des will mer gar net meinen, was das auch ein Mehr an Verantwortung ist, jetzt, wo ich sozusagen direkt mit dem Präsidium verkehre.«
»Ein Mehr an Verantwortung«, äffte ihn Lydia Naber nach, »sei doch froh – die Augsburger Schenkelzwicker wär’n mir jedenfalls schon los, und nach der nächsten Reform erwischts dann die Kemptener.«
Erich Gommert stöhnte. »Na ja. Ich werd jetzt auch so langsam zusammenpacken. Am Montag bin ich net do.« Er ließ die letzten Worte ausklingen und wartete.
Conrad Schielin tat ihm den Gefallen. »Fährst du weg?«
Erich Gommert zierte sich ein wenig. »No ja, so halt.«
»Wohin? Weit kann’s net gehen, du alter Geizhals«, giftete Lydia.
»No, jetzt aber, Lydia. Sei doch net gor so garschtig. Ein paar Tägle halt ins Südtirol.«
Lydia Naber konnte es wirklich nicht glauben. »Du!? Ins Südtirol!? Ist vielleicht die Erbtante verblichen?«
»Jetzt hör doch auf, Lydia. Jeder muss sich emole erholen tun.«
»Wer fährt mit beim Erholen tun?«
»s’Fraule.«
»So ist’s brav«, ätzte Conrad Schielin, »bin schon gespannt, wie es wohl werden wird. Wo geht es denn genau hin.«
»Das wird eine Überraschung.«
Schielin sagte nichts. Ein gutes Gefühl hatte er allerdings nicht, was Erich Gommerts Überraschungen anging.
*
Hildegard Borgghes empfing ihn mit einer Mischung aus distanzierter Freundlichkeit und zurückgehaltenem Schmerz. Zwischen dem Grau ihrer Haare war noch die eine oder andere dunkle Strähne zu sehen. Sie trug ein dunkelbraunes Kostüm und eine schlichte, daher besonders edel wirkende Perlenkette.
Ihr Sohn hatte Schielin in Empfang genommen und nach oben in einen Saal gebracht, der die gesamte Breite des Gebäudes in Anspruch nahm. Eine breite Fensterfront wies zum See. Zwei Schiebetüren in der Mitte führten hinaus auf eine Terrasse, die von dorischen Säulen getragen wurde. Das Laubwerk der Bäume spendete Schatten.
Hildegard Borgghes befand sich in Gesellschaft einer Frau mit langen schwarzen Haaren und ernstem, schönem Gesicht. Die Ähnlichkeit war offensichtlich, und es hätte nicht bedurft, ihr die Frau als ihre Tochter vorzustellen, die sich zugleich von beiden verabschiedete.
Hildegard Borgghes ließ Tee bringen und schwieg eine ganze Weile. Sie waren nun alleine, und sie entschied, wann das Gespräch begann. »Wissen Sie, Herr Schielin … Günther Bamm und ich haben in den letzten Monaten nicht wenig miteinander zu tun gehabt. Damit meine ich nicht allein die Menge der gemeinsam verbrachten Zeit, vielmehr war es die Intensität unserer Gespräche. Nur wenige Stunden, im Grunde genommen, doch erscheinen sie mir wie eine lange Wegstrecke. Es waren sehr angenehme Stunden für mich, und ich habe mich wirklich auf die Treffen mit Günther Bamm gefreut. Er war ein sehr gebildeter Mensch, allem gegenüber aufgeschlossen. Es ist ein Verlust für mich, ja, es ist ein Verlust für mich. Ich hatte ihn auch zu unserem kleinen Fest eingeladen, das wir jedes Jahr hier veranstalten. Nichts Pompöses, Musik, gutes Essen, ein angenehmes Umfeld eben, dass es dann ein gelungenes Fest wird, das ist allein die Sache der Beteiligten, verstehen Sie. Es hätte ihm gefallen, da bin ich mir sicher.«
Schielin nickte und sah hinaus auf den See. Er war sich noch nicht schlüssig, was er von dem Gespräch hier halten sollte.
»Haben Sie denn schon eine … Spur nennt man das, nicht wahr … haben Sie schon eine Spur?«
Er war verwundert über die direkte Art, wie sie fragte, und antwortete. »Wir verfolgen einige Spuren, Frau Borgghes.«
Sie lachte. »Ich weiß schon. Sie dürfen nichts sagen. Ich habe die ganze Nacht wach gelegen, und meine Gedanken sind gar nicht losgekommen von dem, was da geschehen ist. Ich fragte mich immer wieder, was muss das für ein Mensch sein, der so etwas tut, eine solche Tat ausführen kann? Ich für mich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es entweder Wut ist, die einen Menschen zu einer solchen abscheulichen Handlung treibt – oder Angst.«
Schielin stellte die Tasse aus dünnem Porzellan vorsichtig zurück. »Sie sagten, dass Sie sich sehr intensiv mit Günther Bamm unterhalten haben. Ist es vielleicht so, dass Sie eine Vorstellung oder Ahnung haben, wen er wütend gemacht oder wen er, durch seine Arbeit vielleicht, in eine solche Angst versetzt haben könnte?«
»Nein, natürlich nicht. Wenn es so wäre, gäbe es hier keinen Tee, sondern ich säße bei Ihnen
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