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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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Wohnungstür stehen und wartete. Von drunten waren Schleifgeräusche und das Klappern von Glas zu hören, jemand schaffte Bier- oder Wasserkisten ins Haus. Aus der Wohnung, vor der er stand, war nichts zu hören. Er drückte die Klingel und klopfte gleich darauf mit den Fingerkuppen an die Tür. So fair wollte er sein und ankündigen, dass er schon vor der Wohnung stand und nicht unten im Treppenhaus.
    Er hörte keine Schritte, aber eine Diele hatte geknarrt. Es klang so, als hätte jemand versucht, sich lautlos zu bewegen, und war dann auf eine dieser Stellen am Holzboden getreten, die immer knarrten, ärgerlicherweise auch diesmal. Schielin rief ein gedämpftes und fragendes »Hallo« in Richtung Tür. Gleich darauf öffnete sie sich zögerlich, Zentimeter für Zentimeter. Von innen war die Kette vorgespannt, und im dunklen Türspalt, nur beschienen vom bescheidenen Licht, das durch ein Dachfenster einfiel, tauchte ein Gesicht auf. Schielin erschrak.

    Es hatte eine Weile gedauert, bis er Mirabeau Sehender dazu gebracht hatte, die Tür zu öffnen. Auch das Vorzeigen seines Dienstausweises hatte sie zunächst nicht dazu bewegen können. Vorsichtig und zurückhaltend, aber ebenso bestimmt und zielstrebig hatte er mit ihr geredet, bis sie schließlich die Kette löste und ihn einließ. Jetzt saß er ihr gegenüber und schwieg, wie sie auch. Er hatte keinen Blick für den großen Wohnraum, die offene Front zur Dachterrasse hin, den Blick über die Dächer der Stadt, für die Gemälde in der Wohnung, alle Stile in einem furiosen Durcheinander neben- und übereinander. Er sah auf das zerschundene, verschwollene Gesicht. Sie hatte Angst, vor ihm, aber mehr noch vor allem anderen.
    »Was ist passiert?«, fragte er schließlich.
    »Ich weiß es nicht.« Sie weinte leise.
    »Es war kein Unfall, Sie sind nicht gestürzt«, sagte Schielin eher feststellend, denn fragend.
    Sie nickte.
    »Wann ist es passiert?«
    »Am letzten Sonntag, in der Nacht.«
    Ihm wurde ein wenig flau. War sie vielleicht dabei gewesen, und falls nicht – wusste sie schon, was an diesem Sonntag mit Günther Bamm passiert war? Er war sich nicht im Klaren darüber, wie er weitermachen sollte, da Mirabeau Sehender ganz offensichtlich schlimm verletzt war und sich in einer sehr labilen Gemütslage befand.
    »Wo ist es passiert?«
    Sie deutete hinaus in den Gang.
    »In der Wohnung?«
    Sie verneinte mit einer langsamen Geste. »Draußen am Gang, direkt vor der Wohnungstür.«
    »Sind Sie der Meinung, dass Sie mir erzählen möchten und können, was geschehen ist, oder möchten Sie lieber eine Kollegin sprechen?«
    »Nein, nein. Es ist nicht, was sie denken.«
    Es hatte fest geklungen, und er traute sich, konkreter zu werden. »Günther Bamm war am Sonntagabend hier bei Ihnen?«
    »Ja.«
    »Sie wissen, dass er …«
    Ihre Reaktion erübrigte es, weiter nachzufragen.
    Er wartete, bevor er die nächste Frage stellte. Von draußen waren Glockenschläge zu hören. Erst St. Stephan, dann die Stiftskirche Unsere liebe Frau. Hier heroben lebte man auf Höhe der Kirchtürme und hätte dem Alltag ein Stück weiter entrückt sein können, wenn das wirkliche Leben es nicht auch bis hier herauf geschafft hätte.
    »Wann ist er gegangen?«, fragte Schielin.
    »Es war nach Mitternacht, so gegen halb eins, eins.«
    »Sie sind hiergeblieben?«
    »Ja.«
    »Wo wollte er hingehen?«
    »Nach Hause … er wollte nach Hause gehen.«
    Schielin stand auf und suchte Papiertaschentücher. Er fand eine schon geöffnete Packung auf einem hellen Sideboard und reichte sie ihr, wobei er sagte: »Sein Auto war hinten bei der Stephanskirche geparkt.«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Was ist passiert, als er gegangen war.«
    »Ich war hier in der Wohnung und habe noch etwas aufgeräumt. Da habe ich seinen Autoschlüssel gefunden, da, wo sie die Taschentücher gerade geholt haben. Ich hatte mich eigentlich gefreut, ihn gleich noch einmal wiederzusehen, und kurz darauf hat es auch schon geklingelt. Er ist immer gleich nach oben gekommen, so wie Sie vorhin auch … stand immer schon an der Tür. Ich bin vor zur Tür und habe sie aufgezogen. Dann habe ich den ersten Schlag abbekommen. Es war dunkel draußen und … es hat gleich so schrecklich wehgetan, die Tränen waren sofort in den Augen. Ich hab nichts mehr gesehen. Wissen Sie … eigentlich hatte ich eine Umarmung erwartet«, sie unterbrach sich und wanderte in Gedanken zurück zu diesem Sonntagabend, »dann folgten noch einige weitere Schläge,

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