Heidenmauer
stand auf. »Na, dann das große Programm, mit allem drum und dran.«
Hildegard Borgghes deutete auf sie. »Jetzt bleiben Sie sitzen. Niemand wird dieses Haus durchsuchen. Das wird nicht notwendig sein.«
Es war nicht notwendig.
*
Mattigkeit war über dem Tisch aufgezogen. Leo Korsch lehnte sich zurück, an die Lehne des Sofas. Seine Frau sah versonnen auf die Tischplatte. Schielin, Robert Funk und Lydia Naber saßen still in den Sesseln und lauschten den Klängen des Pianos. Auch an zwei anderen Tischen erstarben die Gespräche bei den ersten Takten, die das Instrument anschlug. Ein Nocturne von Chopin. Vielleicht lag es an dem, was am Tisch besprochen wurde, vielleicht an der Musik, die die Zuhörer nicht über die Ohren zu erreichen schien, sondern direkt durch Brust und Bauch in den Körper drang und wie eine die Seele sedierende Arznei wirkte.
Es war Sonntagnachmittag, und sie saßen im Salon des Hotels Bad Schachen, auf dem Tisch standen Kaffeetassen, und Robert Funk war noch mit der Schokoladentorte zugange.
Leo Korsch konnte sich als Erster von den wohligen, musikalischen Fesseln befreien und fragte: »Was ich nicht verstehe ist Folgendes – dieser Thomas Borgghes war doch ein so reicher Mensch, er hatte doch alles, Geld, Häuser, Autos, einen absolut sichern Job?«
»Er hatte fast alles, und reich war er schon gar nicht, wenn man mal die Konten und Immobilien beiseitelässt. Er hatte keinen Platz für sich gefunden in dieser Welt«, erklärte Schielin, »denn für ihn gab es nur die des Chefs. Es war für ihn in einem für uns unvorstellbaren Maße unerträglich, nicht die Führungspersönlichkeit in der Familie und in der Firma sein zu können. Er sah sich als Sekretär seiner Mutter und als Angestellter seiner Schwester. Vor einigen Jahren, kurz nach dem Tod des Vaters, hatte er versucht, die Verantwortung für einen Teil der Firmen zu bekommen, aber die Mutter wollte das nicht.«
»Aber er hätte doch alle Möglichkeiten gehabt, sich selbstständig zu machen, etwas Eigenes aufzubauen. Das Kapital dazu hätte er doch sicher erhalten.«
Schielin hob die Schulter.
Leo Korschs Frau fragte: »Aber was wollte er mit dieser widerlichen Erpressung bewirken?«
»Wir wissen nicht, wer von den beiden auf die Idee gekommen ist. Es ist aber so, dass Thomas Borgghes der Meinung war, eine Schwachstelle bei seiner Schwester gefunden zu haben. Sie ist ein wirklich starke Persönlichkeit, attraktiv, Firmenchefin, reich … aber ohne Beziehung. Seine Frustration ist über die Jahre zu Hass geworden, und er hoffte wohl, mit dieser Aktion seine Schwester psychisch aus der Bahn zu werfen und diese Gelegenheit nutzen zu können, die Führung zu übernehmen und seiner Mutter zu beweisen, dass er es kann.«
Lydia Naber ergänzte: »Aber auch da hat er sich getäuscht. In seinem Denken, seiner Planung hatte er überhaupt nicht berücksichtigt, dass seine Schwester und seine Mutter derart konsequent reagieren würden – sofort zur Polizei zu gehen und diesen schmierigen Typen festnehmen zu lassen. Ab diesem Zeitpunkt hatte er die Sache nicht mehr im Griff.«
»Dann ging es also gar nicht unmittelbar um das Geld, bei dieser Sache?«, stellte Frau Korsch fest.
»Für Thomas Borgghes nicht. Für Badagli-Smerof war es ein lustiges Abenteuer. Der wäre sogar für ein Jahr – mehr wäre es nicht geworden, weil er sehr vorsichtig agiert hat – ins Gefängnis gegangen. Thomas Borgghes hätte ihn dafür entsprechend entlohnt, denn über ausreichend Geld verfügte der ja.«
»Und dieser Gigolo war auch in einem Internat?«, fragte Leo Korsch.
Schielin versuchte zu erklären: »Die Wahrheit ist, dass sich vor vielen Jahren im Internat zwei Versager getroffen haben, Brüder im Geiste – Thomas Borgghes und Ernest Badagli-Smerof. Beide aus reichem Haus, aber ohne die charakterliche Eignung, in große Fußstapfen zu treten. Jedoch beide ausgestattet mit einem enormen Geltungs- und Machtbedürfnis. Es gibt eben solche und solche Internate, und in diesem betreffenden werden die Sprösslinge reicher Leute mehr verwahrt, denn erzogen. Nicht vergleichbar mit Internaten, die sich neben Bildungsvermittlung auch der Charakterbildung widmen.«
»Dieser Thomas Borgghes ist also ein Mensch, der seinen Platz nicht gefunden hat.«
»So könnte man das ausdrücken.«
»Und wie hat Günther Bamm von dieser unglaublichen Geschichte erfahren.«
»Er war des Öfteren zu Gast in der Villa, um sich mit der Mutter zu unterhalten. Es gab ein
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