Heidi Klum - Chamäleongesicht. Biographie (German Edition)
Bildschirmen mögen sie. Es ist eine Erfahrung, die stark macht, eine Bestätigung, wie sie sie noch nie zuvor bekommen hat. Schon eine Woche geht es wieder nach München. Nun hat Heidi schon etwas zu verlieren. Am Liebsten würde sie darüber nicht sprechen, denn es könnte schnell wieder vorüber sein. Doch obwohl ihre Anspannung diesmal noch größer ist und sie das erste Mal die Angst kennenlernt, die Hoffnung, die ihr gerade geschenkt wurde, wieder zu verlieren, hält auch dieser Tag einen Triumph für sie bereit. Auch diesmal setzt sie sich in der Abstimmung gegen die anderen Mädchen durch. Sie ist Monatssiegerin von insgesamt sechs Monaten. Das bedeutet, dass sie bereits tausende andere Mädchen in die Schranken gewiesen und besiegt hat. Wenn das möglich ist, so empfindet das Heidi, dann kann und wird sie sich auch im Modelberuf durchsetzen. Sie weiß jetzt: Sie ist eine Siegerin, und sie hat alles, was man dazu braucht, um erfolgreich zu sein. Dieses Missverständnis wird Heidi über Jahre verfolgen. Denn der Sieg, der sich hier ankündigt, gehört in die Kategorie der leeren Versprechen, für die das Fernsehen bald durch Reality-Shows wie „Big Brother“ berühmt werden wird. Die Popularität, die man dabei gewinnt, ist überschießend und durchdringend. Plötzlich ist man im ganzen Land bekannt und es scheint, als ob man ewig zu den Ersten und Besten im Unterhaltungsgeschäft zählen würde. Die Verachtung, die man einige Jahre später dem Kandidaten Zlatko aber beispielsweise nach der ersten Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ entgegenbringen wird – und der trotzdem seine erste Popularität noch vorübergehend in Geld ummünzen können wird – gibt es 1992 noch gar nicht. Schon dass sich Heidi als Monatssiegerin erwiesen hat, führt dazu, dass sie im Rheinischen und besonders in Bergisch-Gladbach schon über Nacht zu einer kleinen Berühmtheit geworden ist. Sie war mehrfach in den Zeitungen. Viele Menschen haben sie im Fernsehen gesehen und einige sagen, dass sie stolz auf sie sind. Heidi ist eine der ihren geworden – und wird es über viele Jahre bleiben. Die Stadt identifiziert sich mit der hübschen Friseurstochter aus Paffrath. Etwas anders sieht es in der Integrierten Gesamtschule aus. Dort kommen eher Menschen zusammen, die nicht zu den Gewinnern der Gesellschaft gehören. Wenige dort glauben, dass sie später im Leben eine wichtige Rolle einnehmen oder eine große Karriere machen werden. Tatsächlich herrscht dort eher ein linkes Milieu, das eine Klassengesellschaft ablehnt und gleiche Rechte für alle fordert. Also belustigen sich Mitschülerinnen über Heidi und ihren plötzlichen Ruhm, oder tuscheln hinter ihrem Rücken. Heidi erlebt zum ersten Mal, was Erfolg bedeutet. Er schafft mitunter Anerkennung, das stimmt. Und zwar vor allem bei den Menschen, die selbst erfolgreich sind oder strebsam, oder nicht auf den Erfolg angewiesen. Und er erlaubt es dem Erfolgreichen, sich weiter zu entfalten und weiter dorthin zu streben, wo ein noch größeres Versprechen auf ihn wartet. Doch Erfolg macht auch einsam. Denn der Großteil der Menschen, mit denen man zu tun hat, neidet dem Erfolgreichen seine neue Stellung und hofft darauf, dass er wieder stürzt. Schon an der Art, wie ihre Klassengenossinnen mit ihrem Erfolg umgehen, merkt Heidi, dass sie, wenn sie auf dem Weg, den sie gehen möchte, weiter kommen möchte, auf sich selbst gestellt ist. In diesen Tagen halten einige wenige Freundinnen sofort und bedingungslos zu ihr, behandeln sie noch normal, obwohl sie Stadtgespräch ist und von Wildfremden angesprochen wird, die sie in der Glotze gesehen haben. Es ist ihr enger Kreis von Freundinnen, der sich in diesen Tagen so sehr verengt, dass in Bergisch-Gladbach hinkünftig keiner mehr hineingelangen wird. Aber die nun drin sind, werden auch später ihre Freundinnen bleiben. Wo sich Heidi aber am Besten aufgehoben fühlt, sind ihre Eltern, und ihre Tante. Ihre Familie wird mehr als je zuvor zu ihrem Kraftkern. Sie steht hinter ihr und ihren Träumen. Und dann sind da in den zweiten Wochen des neuen Ruhms die anderen, Menschen, die sie bislang noch nicht gekannt hat, doch die sie nun kennen und neugierig auf sie sind und in ihr etwas sehen, was sie selbst noch nicht kannte, etwas Besonderes. Etwas, von dem Heidi bislang nur ahnen konnte, dass es da ist. So wird sie durch ihre frisch gewonnene Prominenz beflügelt. Sie ist wie high, und wünscht sich, dass dieser märchenhafter Zustand
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