Heike Eva Schmidt
die sie dort erwarteten, wären nichts gegen die Torturen, die eine Heirat mit Richter Förg bedeuteten. Nein, dachte Dorothea. Niemals würde sie diesen schrecklichen, grausamen Mann mit den toten Augen ehelichen. »Du hast kein Recht, über mich und mein Leben zu bestimmen, Jakob!«, rief sie heftig. »Ich bin kein Tier, das man an den Nächstbesten verschachert, nur weil er dem Kloster eine großzügige Spende angedeihen lässt!«
Sie sah, dass ihr Bruder ertappt zusammenzuckte, doch sie konnte nicht anders, als ihm all ihre Wut und ihren Kummer vor die Füße zu kippen, wie einen Eimer schmutzigen Wassers nach dem Hausputz. »Du willst mein Bestes?«, rief sie erzürnt. »Dann sorge dafür, dass der Alte mich nicht bekommt! Freiwillig werde ich ihn jedenfalls nicht ehelichen! Hörst du, Jakob? Niemals! Eher sterbe ich!«
Bei ihren letzten Worten schlug Jakob hastig das Kreuzzeichen. »Versündige dich nicht gegenüber dem Herrn, unserem Gott«, murmelte er. Es klang wie auswendig gelernt.
»Du weißt, was Mutter uns gelehrt hat: Man darf sich nicht selbst verraten, man soll zu sich stehen, egal, was die anderen denken oder sagen«, entgegnete Dorothea hitzig. »Glaubst du, Mutter hat dich gerne ins Kloster gehen lassen? Glaubst du, sie hätte es nicht lieber gesehen, wenn du bei uns geblieben wärst? Aber sie wusste, wie sehr der Wunsch nach der Wissenschaft, nach den Büchern und Schriften in dir brannte. Also hat sie dich entscheiden lassen!«
Sie musste Atem schöpfen, so schnell hatte sie die Worte hervorgestoßen. Jakob starrte auf den Rosenkranz, der am Strick seiner Kutte baumelte, als könnten ihm die schlichten Holzperlen eine Antwort geben. Dann nickte er langsam und Dorothea wusste: Er hatte begriffen. Plötzlich wollte sie nicht mehr, dass er ging und sie erneut alleine ließ. Wo war der Jakob, mit dem sie als Kind Verstecken und Fangen gespielt hatte? Der Junge mit dem lauten Lachen und dem Schalk in den grauen Augen? Ein ernster junger Mönch war an seine Stelle getreten. Dorothea hätte am liebsten geweint. Um seine verlorene Unbeschwertheit – und um die ihre.
»Gib gut auf dich acht, Dorle«, sagte Jakob, und seine Stimme klang liebevoll. »Es ist nicht gut, einen mächtigen Mann wie den Richter zum Feind zu haben! Ich finde Schutz im Kloster, aber du …«
»Keine Sorge, Jakob. Ein hoher Herr wie er wird bald eine andere Frau finden. Und dann hat er mich rasch vergessen«, unterbrach ihn Dorothea und versuchte ein Lächeln. Doch auch wenn sie sich nach außen hin unbekümmert gab, war ihr doch klar, dass ihr Bruder recht hatte. Ab jetzt war der Richter ihr Feind. Und sie tat gut daran, sich vor ihm zu hüten.
Jakob murmelte einen Gruß, der so ähnlich klang wie »Gelobt sei Jesus Christus« und ging zur Tür. Als er den Griff schon in der Hand hatte, kam er noch einmal zurück und drückte sie heftig an sich. Noch ehe Dorothea wusste, wie ihr geschah, war er schon zur Tür hinaus. Lange blickte sie der einsamen, hochgewachsenen Gestalt in der grobgewebten Kutte nach, bis Jakob nur noch ein kleiner Punkt in der Ferne war und ihrem Blick schließlich ganz entschwand.
Müde wie eine alte Frau wandte sich Dorothea um und schleppte sich ins Haus zurück. Hatte sie vor Jakob noch stark und unbekümmert getan, wusste sie doch, dass es kaum eine Möglichkeit gab, dem Richter zu entkommen – außer, weit fortzuziehen. Doch schon der Gedanke traf sie wie ein Pfeil ins Herz. Sie dachte an die erlegte Ricke auf der Lichtung, und dass Daniel sie kurz vorher noch kosend sein »rotes Reh« genannt hatte, ehe die Armbrust seines Vaters das Tier zur Strecke brachte. Ihr wurde klar, dass dies schon damals ein böses Omen gewesen war, das Zeichen einer nahenden Bedrohung. Aber wegziehen, das konnte sie nicht. Sie war mit einer unsichtbaren Fessel an Bamberg gebunden. Und diese Fessel war ihre Liebe zu Daniel. Niemals würde Dorothea sie abstreifen können – selbst wenn sie Gefahr lief, damit ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Kapitel 5
C at? Bist du wach?«
Die Stimme meiner Mutter riss mich aus meinen verzweifelten Bemühungen, den Halsreif doch noch abzustreifen. Herrje, wenn sie mich in diesen zerschlissenen Klamotten sah, würde ich ihr einiges erklären müssen. Blindlings griff ich in den Klamottenhaufen auf meinem Sessel und schlüpfte in einen Bademantel. Ich hatte gerade noch Zeit, mir meine lädierten Chucks von den Füßen zu schleudern, als meine Mutter auch schon im Zimmer stand.
»Kind,
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